Der Fuenf-Minuten-Philosoph
mit einer Erfahrung, so heißt es, sei nie einem anderen mit einem Argument ausgeliefert. Dies erscheint nur so lange als ein beruhigender Standpunkt, bis wir einen »Beweis« der Richtigkeit dieser Erfahrung verlangen, damit wir an ihr teilhaben können. Vielleicht stellen wir auch immer die falsche Frage, weil »Existenz« möglicherweise als Attribut gar nicht dazu taugt, es dem Göttlichen zuzuschreiben. Anstatt über die Existenz Gottes nachzudenken, sollten wir uns wohl eher fragen, ob uns Gott anstupst, uns etwas zuflüstert oder indirekt unsere Aufmerksamkeit weckt. Der Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869–1937) beschrieb das »Numinose«, dieses Gefühl der Unmittelbarkeit »des anderen«, durch das wir spüren, dass uns »etwas« berührt hat, ohne uns sicher zu sein, was es ist. Es kann ästhetisch, ätherisch oder ein erwachender Teil unserer selbst sein. Vielleicht haben wir das Gefühl, dass wir dieses Etwas bequem mit der Vorstellung Gottes gleichsetzen können, auchwenn wir es nur denen mitteilen können, denen es selbst vertraut ist. Obwohl durch Schriften und Glaubensbekenntnisse gut abgesichert, kann ein solcher geteilter Subjektivismus die Existenz eines Gottes keineswegs beweisen. Vielleicht liefert uns die Intuition eine verbindende Bestätigung. So hob der wettende Pascal denn auch scharfsinnig hervor: »Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.«
Ist Gott ein Wer oder ein Was?
Die Anrufungen im Kult und in Gebeten geben uns eine gewisse Vorstellung davon, wie Gott gesehen wird: »Allmächtiger Vater« – »Unser Vater« – »Herr« – »Jesus Christus« usw. Von Moses darum gebeten, sich zu erkennen zu geben, antwortete Gott: »Ich bin«. Er ist der, der »ist«. Paulus gebrauchte den Ausdruck »Ewiger Gott«. Für Juden ist der wahre Name Gottes so heilig, dass er nicht ausgesprochen oder klar niedergeschrieben werden darf. Deswegen taucht er in den Schriften in Form des Tetragramms, des Vierfachzeichens, auf, das im Deutschen mit JHWH ausgedrückt wird. Manchmal erscheint der Gottesname mit Vokalen als »Jahwe« oder »Jehovah«. Der Islam kennt »die 99 schönsten Namen Gottes«, die Allahs Eigenschaften widerspiegeln. So Ar-Rahman, der Barmherzige, oder Al-Mutaqim, der Rächer. Im Hinduismus bedeutet Bhagvan »Gott«, Ishvar »der kosmische Herrscher« und Paramatma »die Höchste Seele«. Besonders bekannt unter den vielen Götternamen sind die vier »Brahma«, »Wischnu«, »Krischna« und »Rama«. Obwohl Buddhisten die Existenz von Devas (höheren, über dem Menschen stehenden Wesen) akzeptieren, ist der Buddhismus eine nicht-theistische Religion, das heißt, er hat kein Konzept von Gott als einem ersten Beweger. Für ihn stellt sich die Frage nach einem »Wer« oder »Was« erst gar nicht. Dagegen zeichnete sich der historische Buddha als ein spiritueller Urheber, ein Bodhisattwa oder ein Erleuchtungswesen aus. Er erlangte aus eigenerKraft das Nirwana und gilt als Verkörperung des Dharmakaya, des unmanifestierten, unvorstellbaren Aspekts eines Buddhas, eines »Erleuchteten«. Der Buddha war ein »Wer« und ein spirituelles Vorbild für seine Anhänger.
Aus all dem müsste deutlich geworden sein, dass für manche Gott klar ein »Wer« ist. Für andere ist er als Wesenheit so abstrakt, dass Kennzeichen und Eigenschaften irrelevant sind. Selbst die anthropomorphisierten Formen Gottes haben etwas Unaussprechliches: Nomen und Pronomen dienen zum Erfassen einer Vorstellung, die ansonsten unverständlich wäre. Für jede Religion bestand das Rätsel von jeher darin, wie die Gläubigen an ihrem Glauben festhalten können angesichts der Spannung in einem Gottesbegriff, der absolut und universell und zugleich relativ und persönlich ist.
Religionen und ihre Glaubenslehren entwickeln sich ähnlich wie alles andere weiter. Es heißt, das Genie des Judentums habe der Welt mit ihren polytheistischen Kulturen den Monotheismus beschert. Dagegen liege das Genie des Christentums in der Vorstellung der Fleischwerdung Gottes, die das Unsichtbare sichtbar und das Unverständliche begreifbar gemacht habe. Die Fleischwerdung ist die umfassendste Form der Anthropomorphisierung. Als solche prägte sie der abendländischen Kultur nicht nur ein, Gott als Person zu denken, sondern machte Gott auch mit Blick auf seine Beziehung zum Menschen fasslich. »Vater unser, der du bist im Himmel« setzt ein »Wer« voraus, auch wenn ein »Was« zu Fleisch wurde.
Sind wir nach dem Ebenbild
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