Der fuenfte Berg
vereinzelte harmlose Scharmützel mit unbedeutenden Stämmen ausgenommen - gab es nur in der Erinnerung der Priester. Sie sprachen von einem Land namens Ägypten, in dem es Pferde und Kampfwagen und Götter in Tiergestalt gab. Doch dies war alles vor langer Zeit geschehen, Ägypten war kein bedeutendes Land mehr, und die dunkelhäutigen Krieger mit ihrer fremdartigen Sprache waren in ihre Heimat zurückgekehrt. Jetzt beherrschten die Bewohner von Tyrus und Sidon die Meere und dehnten ihr Reich auf die ganze Welt aus; obwohl sie erfahrene Krieger waren, hatten sie eine neue Art des Kampfes entdeckt: den Handel.
»Warum sind sie so erregt?« fragte der Stadthauptmann Elia.
»Weil sie begreifen, daß sich etwas verändert hat. Ihr wißt genausogut wie ich, daß die Assyrer nun jeden Augenblick angreifen können. Ihr wißt genausogut wie ich, daß uns der Kommandant in bezug auf die Stärke der feindlichen Truppen die ganze Zeit belogen hat.«
»Aber er wird doch nicht so verrückt sein, dies jemandem zu erzählen. Er würde Panik hervorrufen.«
»Jeder Mensch spürt, wann er in Gefahr ist. Er reagiert ganz eigen darauf, er hat Vorahnungen, fühlt, daß etwas in der Luft liegt. Und er versucht, sich etwas vorzumachen, weil er nicht glaubt, der Situation gewachsen zu sein. Bis eben noch haben alle versucht, sich etwas vorzumachen, doch irgendwann kommt der Augenblick, in dem man der Wahrheit ins Gesicht blicken muß.«
Der Priester kam heran.
»Laßt uns zum Palast gehen und den Rat von Akbar einberufen. Der Kommandant ist schon auf dem Weg.«
»Tut es nicht«, flüsterte Elia dem Stadthauptmann warnend zu. »Sie werden Euch zwingen zu tun, was Ihr nicht wollt.«
»Laßt uns gehen«, sagte der Priester zum zweiten Mal. »Ein Spion wurde gefangen, und es müssen dringende Maßnahmen getroffen werden.«
»Laß ihn vor dem Volke richten«, flüsterte Elia. »Sie werden Euch helfen, denn sie wollen den Frieden, obwohl sie den Krieg fordern.«
»Bringt diesen Mann hierher«, verlangte der Stadthauptmann. Die Menge brach in Freudengeschrei aus. Zum ersten Mal würden sie eine Sitzung des Rates erleben.
»Das können wir nicht tun!« sagte der Priester. »Dies ist
eine heikle Angelegenheit, die in Ruhe vonstatten gehen muß.«
Einige Buhrufe. Viele Protestrufe.
»Bringt ihn hierher«, wiederholte der Stadthauptmann. »Und ihm wird hier inmitten des Volkes der Prozeß gemacht werden. Wir arbeiten alle zusammen daran, Akbar zu einer blühenden Stadt zu machen - und wir werden gemeinsam über das befinden, was uns bedroht.«
Der Beschluß wurde mit Applaus begrüßt. Eine Gruppe von Soldaten aus Akbar näherte sich, die einen blutüberströmten, halbnackten Mann mit sich schleppten. Er mußte zuvor heftig geschlagen worden sein.
Der Lärm verstummte, und eine drückende Stille legte sich auf das Publikum, unterbrochen nur vom Grunzen der Schweine und vom Lachen der Kinder, die am anderen Ende des Platzes spielten.
»Warum habt Ihr das mit dem Gefangenen gemacht?« herrschte der Stadthauptmann sie an.
»Er hat sich gewehrt«, antwortete einer der Wächter. »Er sagte, er sei kein Spion, sondern hierhergekommen, um mit Euch zu sprechen.«
Der Stadthauptmann ließ drei Stühle aus seinem Palast bringen. Seine Diener brachten den Richtermantel, den er anlegte, wenn der Rat von Akbar zusammentrat.
Er und der Priester setzten sich. Der dritte Stuhl war für den Kommandanten bestimmt.
»Hiermit erkläre ich feierlich das Gericht von Akbar für eröffnet. Die Ältesten mögen näher treten.«
Eine Gruppe betagter Männer trat zu den beiden und stellte sich im Halbkreis hinter die drei Stühle. Das war der
Ältestenrat. Einstmals war ihr Ratschluß befolgt worden, inzwischen jedoch war ihre Rolle rein formell und bestand darin, die Entscheidungen des Stadthauptmanns zu bestätigen.
Der Stadthauptmann brachte zuerst die rituellen Formalitäten hinter sich - die Götter vom Fünften Berg wurden angerufen, die Namen der legendären Helden von Akbar feierlich verlesen -, dann wandte er sich an den Gefangenen.
»Was wollt Ihr?« fragte er.
Der Gefangene gab keine Antwort, musterte ihn nur unverhohlen, wie von gleich zu gleich.
»Was wollt Ihr?« beharrte der Stadthauptmann.
Der Priester berührte seinen Arm.
»Wir brauchen einen Dolmetscher. Er spricht unsere Sprache nicht.«
Einer der Wächter wurde beauftragt, einen Kaufmann zu holen, der für sie dolmetschen sollte. Die Kaufleute nahmen nie an Elias Sitzungen
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