Der fünfte Mörder
ein.
Ein Kastenwagen mit dem Emblem eines lokalen Fernsehsenders auf der Tür hielt mit quietschenden Bremsen unmittelbar vor der Absperrung. Ein Hüne mit dunklen Flecken unter den Achseln kletterte heraus, wuchtete sich eine Kamera auf die Schulter und begann zu filmen, was es noch zu filmen gab.
»Wo ist eigentlich der Geschädigte geblieben?« Ich sah mich um. Der Angeber mit der goldenen Armbanduhr war verschwunden.
»Da lang.« Die durchtrainierte Kollegin deutete auf ein kleines Restaurant auf der gegenüberliegenden StraÃenseite, über dessen Tür in altertümlich geschwungenen, hellblauen Neonbuchstaben »Bella Napoli« stand.
»Sie kommen bitte mit.« Ich gab der Frau einen Wink. »Den Herrn sehen wir uns mal ein bisschen genauer an.«
Während ich, gefolgt von der jungen Kollegin, die StraÃe überquerte, zückte ich mein Handy und wählte Sven Balkes Nummer. Er war in der Nähe des Fundorts unserer Wasserleiche unterwegs, erfuhr ich, und half einigen Kollegen beim Absuchen der Neckarufer. Sie hofften, dort etwas zu finden, das uns Anhaltspunkte zur Identität des Toten oder seines Mörders liefern könnte.
Zwei angetrunkene Angler hatten die Leiche des zwischen dreiÃig und vierzig Jahre alten Mannes am Vorabend entdeckt, westlich von Edingen, etwa zehn Kilometer flussabwärts von Heidelberg. Der Tote war unbekleidet gewesen und hatte nach Meinung des Arztes schon einige Tage im Wasser gelegen. Nun wurden im Neckar â wie in jedem Fluss â hin und wieder Leichen angeschwemmt. Was uns allerdings alarmiert hatte: Diese hatte ein Einschussloch in der Stirn. Der Mann, den wir auf Grund seines muskulösen Körpers und groÃflächiger Tätowierungen eher den unteren Gesellschaftsschichten zurechneten, war an einem Schuss aus kurzer Entfernung gestorben, genau zwischen die Augenbrauen. An seinen Handgelenken hatten meine Spurenspezialisten zudem blaue Fasern gefunden, die vermutlich von einem Kunststoffseil stammten, wie man es in jedem Baumarkt für wenige Euro kaufen kann.
Bei meiner Ersten Kriminalhauptkommissarin Klara Vangelis hatte ich mehr Glück als bei Sven Balke. Trotz Samstag war sie in der Direktion und versuchte, unseren unbekannten Toten anhand der aktuellen Such- und Vermisstenmeldungen zu identifizieren. Ich bat sie, die Wasserleiche fürs Erste Leiche sein zu lassen und schleunigst herzukommen. Ich brauchte hier dringend jemanden mit Erfahrung und Ãberblick.
Im Inneren des Bella Napoli duftete es nach guter italienischer Küche, obwohl noch keiner der adrett mit Blümchen und rosafarbenen Kerzen dekorierten Tische besetzt war. Der stämmige Wirt mit silbergrauem, kurz geschnittenem Haar kam mir mit freundlich-verstörter Miene und auf einen schwarzen Stock gestützt entgegengehumpelt. Sein linkes Kniegelenk schien steif zu sein. Auf den ersten Blick wirkte er nicht wie ein Neapolitaner, sondern eher wie ein knorriger Bauer aus den tiefsten Abruzzen. Sein Körper war eckig, das Gesicht markant, über dem Mund ein buschiger, ebenfalls ergrauter Schnauzbart. An der Theke langweilten sich zwei ausgesucht attraktive Bedienungen, eine hochgewachsene Rothaarige und eine Dunkle mit blau-schwarz schimmerndem Haar. Den Besitzer des Cayenne entdeckte ich nicht.
»Sehrrr schlimme Sache!«, knarrte der Wirt und reichte mir eine kurze und auÃerordentlich kräftige Hand. »Sie Polizei?«
Ich lieà ihn meinen Ausweis sehen und stellte mich vor. Die Zähne, die er beim breiten Lächeln entblöÃte, sahen schlecht aus.
»Ich Anton«, erklärte er mit devoter Verbeugung und quetschte gleich noch einmal meine Hand. »Anton Schivkov. Kommen von Bulgarien.«
»Wo ist der junge Mann geblieben, der hier vor ein paar Minuten reingekommen ist?«
»Slavko gegangen hinten. Telefonieren. Junge Leut immer telefonieren, immer, nicht wahr?«
In einer Mischung aus ängstlicher Erwartung und Bitte um Nachsicht grinste er mich an. Bulgarien zählte offenbar zu den Ländern, wo man Vertretern der Staatsgewalt noch Respekt zollte.
»Ich möchte ihn sprechen«, erklärte ich streng. »Wenn möglich, gleich, bitte.«
Der alte Bulgare humpelte eilfertig davon und verschwand durch die Tür zur Küche.
Das Lokal war einfach, aber geschmackvoll eingerichtet. Warme Farben, viel helles Holz. Unaufdringliche Bilder an der Wand zeigten Fischerdörfer und
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