Der Fürst der Skorpione
aber immer noch feuernden Bordkanone ziemlich nahe, er musste sich sogar ducken, um vom Regen der ausgestoßenen Patronenhülsen nicht getroffen zu werden. Schnell eine Granate angeheftet, dann die andere. Noch zehn Sekunden. Er drehte sich um. Abhauen!, dachte er. Und da sah er etwas, was sein Herz stillstehen ließ: Neben dem Gleiterwrack war eine Gestalt aufgetaucht. Sie schwankte ein wenig, dann taumelte sie los, vage in die Richtung des havarierten Copters und langsam in das Schussfeld der Bordkanone hinein.
»Tabea!«, brüllte Björn und rannte los. Die Zeit wurde zu Gelatine. Er wusste, es ging um jede Sekunde, er beschleunigte, er lief, so schnell er konnte, aber wie in dem bösen Traum, der bis vor Kurzem sein Zombiealltag gewesen war, schien er kaum vom Fleck zu kommen. Sie blieb stehen. Er schlug einen Haken, rannte nun von der Seite her auf sie zu und riss sie in dem Moment zu Boden, in dem die Granaten losgingen. Die Explosionen waren überraschend leise. Ein paar Splitter trafen auch das Gleiterwrack, es prasselte um sie herum. Die Bordkanone hatte aufgehört zu schießen. Alles hatte aufgehört. Seit dem Angriff der EF-Patrouille waren vielleicht drei Minuten vergangen. Irgendetwas ist hier ganz falsch, dachte Björn. Er rollte von Tabea herunter, die er mit seinem Körper vor der Explosion geschützt hatte. Sie zitterte, ihr Blick war starr in den heißblauen Himmel gerichtet.
»Tabea«, flehte Björn, aber sie reagierte nicht. Er atmete so schwer, das kannte er gar nicht von sich. Vielleicht steht sie unter Schock, dachte er, oder eher ich? Er setzte sich auf. Dann fiel ihm ein, was hier ganz falsch war. Beide Fahrzeuge waren zerstört. Das eine durch den Angriff der EF-Soldaten, das andere durch ihn. Sie saßen hier fest, in der Wüste, die sich aufheizte wie ein leerer Topf auf einer voll aufgedrehten Herdplatte. Ja, die Hitze, dachte er. Es muss unwahrscheinlich heiß sein. Aber warum ist mir dann so kalt? Er blickte an sich herab. Seine ganze Hose war voller Blut. Sein eigenes Blut. Man hatte ihn getroffen. Irgendwann während des Gefechts war er getroffen worden und hatte es gar nicht gemerkt. Und die Kälte, die er spürte, kam von dem Blutverlust. So war das. Ach, und da kam schon das Schwarzweißsehen. Kurz vor dem Verbluten, das wusste er, sah man keine Farben mehr, das hatte mit einer Unterversorgung der Stäbchen in der Netzhaut zu tun, oder waren es Zäpfchen? Ich sterbe, dachte er, und fiel hintenüber.
Tabea hatte schon den Absturz nicht mehr richtig mitbekommen. Es war alles viel zu schnell gegangen, und als ihr Björn das Messer in die Hand gedrückt hatte, lag ihr Traum eigentlich noch gar nicht richtig hinter ihr, von Zuhause hatte er gehandelt. Und dann die Schießerei. Sie kannte die Geräusche alle. Sie hatte genug Kriegsfilme gesehen, um das alles zu kennen – wie man halt etwas aus Filmen kannte. Sie umklammerte das Messer. Wenn einer der Feinde hier hereinkam, in das Wrack des abgestürzten Gleiters, dann konnte sie immer noch nach ihm stechen. Björn war verschwunden. Draußen pfiffen diese kleinen Maschinenkanonen, wie hießen die noch mal, diese Mitrailleusen, und dann etwas, das nach größerem Kaliber klang. Sie wollte zu Björn. Packte das Messer noch fester, krabbelte irgendwie aus dem Gleiterwrack. Da war er ja. Machte irgendwas an dem Copter, während der Pilot wild in die Luft schoss. Da kam Björn schon auf sie zugerannt, riss sie um und erdrückte sie fast mit seinem Gewicht. Zwei kleine Explosionen. Dann Stille. Sie setzte sich auf. Björn lag neben ihr, er war voller Blut. Sie beugte sich zu ihm herunter und konnte ihn murmeln hören: »Medikit, Wasser«. Diese beiden Wörter murmelte er immer wieder vor sich hin. Sie musste ihn als Erstes in den Schatten ziehen, denn der Sand kochte. Sie warf das Messer hin. Sie packte ihn und zerrte wie eine Verrückte. Sein Körper bewegte sich nur zentimeterweise, aber sie schaffte es. »Medikit, Wasser.« Er blutete stark und brauchte deshalb eines dieser Armee-Medikits, mit deren Hilfe auch starke Blutungen gestillt werden konnten.
»Copter«, hauchte er. Da hat er wohl recht, dachte sie mechanisch. Sie rappelte sich auf. Ihre Knie waren weich. Sie wankte auf den gesprengten Copter zu. Vom Cockpit war nicht mehr viel übrig. Sie krabbelte hinein und zerschnitt sich dabei die Hände am zerbrochenen Glas der Kanzel, ohne es richtig zu merken.
Der Boden hatte Schlagseite, weil der Copter gekippt war, und es war nicht
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