Der Fürst der Skorpione
»Noch was?«, fragte der lässige Zeugmeister. »Ich brauche noch eine Uniform.«
»Geht nicht. Da muss erst einer von uns sterben, der deine Größe hat.«
Die beiden lachten dröhnend.
»Salaam«, sagte Björn und wandte sich zum Gehen. Der Zeugmeister und sein Freund antworteten nicht.
Er herrschte fast vollkommene Dunkelheit. Nasrid und Hassan hatten Tabea und Björn eine gemeinsame Kammer zugewiesen, was ein Privileg war, denn alle anderen schliefen zu fünft oder zu zehnt in Gemeinschaftsunterkünften. Tabea schaukelte sacht in ihrer Hängematte hin und her. Ihr war elend zumute. Als Björn mit einem glücklichen Gesichtsausdruck zurückgekommen war, all ihre Sachen unterm Arm, hatte sie sofort begriffen, dass er jetzt zu den Fenneks gehörte. Insgeheim hatte sie gehofft, man würde Björn und sie rausschmeißen. Das wäre ihr lieber gewesen, redete sie sich ein, als hier im Dunkeln in einer muffigen Hängematte zu schaukeln und vor Kummer nicht einschlafen zu können. Sie wusste genau, dass auch Björn nicht schlief, allerdings aus anderen Gründen. »Das ist doch alles völlig sinnlos!«, platzte sie heraus. »Früher hast du für die EF gekämpft, jetzt bist du im Widerstand. Du bist schon einmal getötet worden. Was war daran so toll? Es ist total gefährlich hier. Die EF kann uns jederzeit entdecken. Völliger Wahnsinn, das alles.«
Erst dachte sie, dass er sie nicht gehört hatte, dann antwortete er doch. »Davon verstehst du nichts, Tabea. Du wolltest fliehen…«
»Ja und?«
»… nicht ich. Aber jetzt, wo wir es geschafft haben und ich so viel Glück hatte, will ich etwas daraus machen. Was habe ich von einer Freiheit, mit der ich nicht machen kann, was ich will?«
Tabea war sprachlos. So hatte sie das noch überhaupt nicht gesehen. Das klang ja beinahe, als fühle sich Björn von ihr bevormundet!
»Ich bin…«, stotterte sie, »ich bin mit dir abgehauen, weil sie dich umbringen wollten. Weil ich das nicht wollte. Aber hier gehen wir drauf. Was ist eigentlich mit meiner Freiheit? Du bist frei und gehst zum Widerstand, und ich latsche hinterher, wie’s dir passt?«
»Ja, richtig, die wollten mich umbringen. Und vorher haben sie mich zu einem Zombie gemacht. Und noch früher habe ich für sie in Nordafrika gekämpft und Leute umgebracht, die mir nichts getan hatten. Aber ich sag dir eins, dafür bezahlen sie noch.« Seine Stimme klang jetzt zornig. »Björn, das ist doch totaler…« Irrsinn, wollte sie sagen, aber er fiel ihr ins Wort.
»Ich will nicht mehr darüber reden. Du verstehst davon nichts, dafür bist du zu jung. Und mein Kampfname ist seit heute Dubb.«
Tabea lachte nicht, sie war zu eingeschüchtert von seinem Zorn. Sie schwieg. Aber diesen Wahnwitz würde sie nicht einfach über sich ergehen lassen. Sie beschloss zu fliehen.
Gleich am nächsten Tag machte sie sich an Abdellatif, den Marokkaner heran. Abdellatif bewachte den Kamelstall, er war schweigsam, hager und ziemlich alt. Er nickte nur, als Tabea sagte, sie wolle ihm bei den Kamelen helfen. Zuerst einmal durfte sie Kameldung entsorgen. Leider trug man hier den Mist nicht einfach vor die Tür. Ein spezialisierter Müllbuggy nahm alles nach draußen mit und verteilte es so unauffällig wie möglich in der Wüste. Dazu gehörten auch tierische und menschliche Fäkalien – beziehungsweise die letzten Reste tierischer und menschlicher Fäkalien, denn die wurden vorher in einem aufwendigen Verfahren so lange entwässert, bis man den letzten Tropfen daraus zurückgewonnen hatte. Tabea erfuhr bei der Dungschlepperei und der Arbeit an den »Konvertern«, dass die Wasser- und Energieversorgung ansonsten mit Brennstoffzellen realisiert wurde, deren Wirkungsgrad von Hassan »auf 50 %« verbessert worden war. Das sagte Tabea zwar nichts – sie war in Chemie und Physik nie besonders gut gewesen –, aber es klang trotzdem beeindruckend. Als sie das dritte Mal an diesem Tag mit leeren Eimern von den Konvertern zurückkam, überraschte sie Abdellatif dabei, wie er in gebückter Haltung vor der Außentür stand, die sich gerade schloss. Er richtete sich auf, das ging nicht so schnell, weil er dabei Schmerzen zu haben schien. Er bemerkte sie nicht. Sie zog sich hastig zurück und kam dann mit laut scheppernden Eimern noch mal um die Ecke. Jetzt tat Abdellatif so, als sei er die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen, Aoud, dem weißen Leitbullen der Herde, das Fell zu kämmen. Sie stellte die Eimer ab. Abdellatif zeigte ihr,
Weitere Kostenlose Bücher