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Der Fürst der Skorpione

Der Fürst der Skorpione

Titel: Der Fürst der Skorpione Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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wie man die Tiere striegelte. Sie roch Tabak an ihm. Ihr Herz klopfte. Abdellatif war draußen gewesen, um zu rauchen. Tabea wusste jetzt also ungefähr, wo sich der Öffnungsmechanismus für die Tür befand.
    Genauso schnell wie draußen brach die Nacht herein, es wurde kalt, und an die Decke des Stalls wurde ein künstlicher Sternenhimmel projiziert, wie Tabea ihn noch nie gesehen hatte. Wäre da nicht der Ausgang zur Werkstatt gewesen, hätte sie geglaubt, in der nächtlichen Wüste unter freiem Himmel zu stehen, umgeben von träge wiederkäuenden Kamelen. Die Tiere schienen sich langsam an sie zu gewöhnen. Sie wollte Aoud tätscheln, wie Abdellatif das auch immer machte, aber als sie sich ihm näherte, schnappte er nach ihr und bekam sie am Arm zu fassen. Sie schrie und taumelte weg, Aoud begann zornig zu blöken. Die anderen Kamele, die eigentlich schon weggedämmert waren, wurden ebenfalls unruhig, Chaos brach los. Abdellatif kam angelaufen und zog Tabea hinter sich her, zu dem Sitzplatz der Kamelwärter, wo es einen Verbandskasten gab. Durch einen Tränenschleier sah sie, wie Abdellatif ein Fläschchen mit Desinfektionsmittel herausnahm. Als er die Wunde damit betupfte, zuckte Tabea zusammen. Noch während sie verarztet wurde, tauchte plötzlich Aslal auf, erfasste mit einem Blick die Situation und begann, Abdellatif auf Euro auszuschimpfen. Was Tabea überhaupt hier zu suchen habe? Ob er jetzt zu dumm oder zu alt sei, seine Arbeit allein zu tun? Was das überhaupt solle, so viel Verbandsmaterial für das Mädchen zu verschwenden? Abdellatif schwieg nur. Tabea schlich sich einfach davon, sie schniefte und heulte immer noch, als sie in ihre Schlafhöhle zurückkam. Björn lag in seiner Hängematte und las. Sie erzählte ihm, was passiert war.
    »Ich freue mich, dass du dich hier nützlich machst«, meinte er. »Aber du musst auch aufpassen.«
    »Natürlich, Dubb.« So deprimiert hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Sie konnte sich nicht einmal mehr bücken, um ihre Schuhe aufzuschnüren, ohne dass ihr verletzter Arm schmerzte.
    »Du kannst mich weiterhin Björn nennen, du gehörst ja nicht zur kämpfenden Truppe. Außerdem kennen wir uns ja von früher.«
    »Natürlich, Björn.« Tabea rollte sich in ihrer Hängematte zusammen. Dabei dachte sie: »Am Arsch kannst du mich lecken.«
    Abdellatif schickte sie zu den Ärzten in den dritten Stock, weil sie gesagt hatte, dass ihr Arm immer noch sehr wehtat. Ein Assistent mit Namen Madjid sah sich die Verletzung an, sagte: »Kamelbiss« und wiegte seinen Kopf hin und her. »Ist wie bei Hunden«, erklärte er. »Kann ein wenig dauern mit der Heilung.« Er reinigte die Wunde noch einmal, was höllisch brannte und ihr den Schweiß auf die Stirn trieb, aber sie biss die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich. Madjid klebte ein orangefarbenes Pflaster auf ihren Arm, das seltsam süßlich roch. Er klickte eine rosa Ampulle in einen Injektor und schoss ihr die Ladung durch den Stoff ihres T-Shirts in den Oberarm. Sie hatte nicht einmal Zeit zu protestieren. Als sie verwirrt ihr T-Shirt und ihren Oberarm untersuchte, lachte Madjid: »Kombinationsimpfung. Gegen alles, was man hier so kriegen kann, von Kamelen, Mücken, Schlangen und anderem Viehzeug. Gleich bildet sich ein roter Punkt auf deiner Haut, wo das Serum eingedrungen ist, das ist alles. Ah, da ist er ja schon, schau!«
    Und tatsächlich bildete sich eine kleine Pustel, wo Madjid den Injektor aufgesetzt hatte.
    »Wenn du Fieber oder Kopfschmerzen bekommst oder dir sonst übel wird, kommst du wieder zu mir. Sollte aber alles glatt gehen.«
    Er lächelte und sah mit seinen grauen, ein wenig verstrubbelten Haaren und der Nickelbrille eigentlich recht freundlich aus. Wenn du wüsstest, wie dreckig es mir jetzt schon geht, dachte Tabea grimmig. Laut fragte sie: »Woher kommst du?«
    »Aus dem Iran.«
    »Bist du auch… Parse?«, fragte sie.
    Er lachte wieder. »Wie Etienne? Nein, bei mir ist es noch viel schlimmer. Ich habe überhaupt keine Religion. Ich bin Anarchist.«
    »Aha«, sagte sie.
    »Jetzt weißt du natürlich nicht, was das ist.«
    »Nein«, gab sie zur Antwort, »und ich will es eigentlich auch gar nicht wissen.«
    Zögernd stimmte sie in sein Lachen ein, ließ ihn aber bald allein. Nachdem sie sich bei Abdellatif abgemeldet hatte, legte sie sich in ihre Hängematte und brütete vor sich hin. Sie konnte an nichts anderes denken als an ihre bevorstehende Flucht. Verdammt noch mal!,

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