Der Fürst der Skorpione
Blick bekam etwas Stechendes. »Ich schneid dir den Kopf ab, wenn du verrätst, dass ich mit dir darüber gesprochen habe.« Er senkte den Blick und begann, seine leere Teeschale auf dem Tisch herumzudrehen. Dabei entstand ein schabendes Geräusch, das Tabea auf die Nerven ging. »Viele der Männer glauben, dass Nasrid und Hassan zu ehrgeizig sind. Jeden Tag gibt es irgendwelche Aktionen, als wollten sie die EF provozieren. Du hast die Gefangenen ja gesehen. So was gibt es hier jetzt ständig. Sie reden auch ab und zu davon, dass man zur nächsten Stufe übergehen müsse. Manche hier unten nennen das Größenwahn.« Tabea schwieg.
Etienne stand abrupt auf, verstaute Thermoskanne und Schale wieder in seinem Spind und sagte: »So. Jetzt geh ich mal wieder arbeiten.«
Tabea sagte: »Okay!« Als er den Spind geschlossen hatte, drehte er sich um. Sie sah seine dunklen Augen, das schmale Gesicht, die Bartstoppeln. Und da war es auch wieder, dieses freche Grinsen, das Tabea zuerst aufgefallen war, als Etienne seinen Kopf durch die geöffnete Luke des Wüstenbuggys gesteckt hatte.
Björn richtete sich auf. Ihm war noch flau von dem Betäubungsmittel, das Abdul ihm gespritzt hatte, sein Herz stolperte, für ein paar Sekunden sah er doppelt. »Es ist ein Wunder«, meinte Seif und zeigte auf die dreidimensionale Abbildung über dem Projektor. Neben ihm stand Abdul, und, wie Björn erschreckt bemerkte, auch Nasrid, der hereingekommen sein musste, während er bewusstlos gewesen war. »Ah, Björn«, erklärte Seif, als er bemerkte, dass der Patient zuhörte. »Wir besprechen gerade mit dem Madugu, was wir herausgefunden haben. Bleib ruhig noch ein wenig sitzen, das ist besser für deinen Kreislauf.« Er zeigte wieder auf die geisterhafte Struktur, die sich langsam über der Projektorplatte drehte. Das Hologramm war vielleicht einen halben Meter hoch und stellte die anatomischen Details eines menschlichen Körpers dar: blaue Knochen, gelbes Nervensystem, am Rückgrat sah man ein halbes Dutzend Punkte rot pulsieren. »Hier seht ihr Björns Neuroports«, sagte Seif zu Nasrid und Abdul, wobei er auf die roten Punkte zeigte. »Aber hier wird es richtig interessant.« Seif markierte einen dunkelroten Fleck, den Björn auf den ersten Blick übersehen hatte. Automatisch wurde der Ausschnitt vergrößert. »Das ist ein kaputter Neuroport. Man kann ihn nicht mehr gut auslesen, aber was er hergibt, bestätigt, dass Björn die Wahrheit sagt. Der Elektroschock, den die Freeriders ihm verpasst haben, hat genau den Teil seiner Ausrüstung beschädigt, der für den Kontakt zum Heiligen Netz, zum Grünen Buch und für seine Kontrolle als Zombie verantwortlich war. Ich hätte nicht geglaubt, dass so was möglich ist, aber allem Anschein nach hatte Björn großes Glück. Andere wären gestorben oder einfach nur beschädigt geworden, ihn haben die 50.000 Volt befreit. Erstaunlich, erstaunlich.«
»Und seine Schnittstelle? Was ist mit seiner Käferschnittstelle?«, fragte Nasrid.
Seif vergrößerte einen anderen Bereich an der Schädelbasis der Projektion. »Seine Käferschnittstelle ist intakt, aber von außen nicht mehr zugänglich. Das hat wahrscheinlich mit dem Wiedererweckungsprozess zu tun.« Die drei wechselten Blicke. »Es gab Gerüchte«, meldete sich Björn zu Wort. »In der Kirche. Es gibt Kriminelle in der Eurozone, die illegale Elektroschocktherapien anbieten und Fluchthilfe. Sie haben sogar Tabea ein Intro geschickt, damit sie mich von ihren Methoden überzeugt. Aber zum Schluss haben wir uns dann allein auf den Weg gemacht.«
»So«, sagte Nasrid gut gelaunt und wedelte mit einem Finger in der Projektion herum, als wolle er sie kitzeln. Dann drehte er sich zu Björn um und verschränkte seine Arme vor der Brust. Björn bemerkte die Pistolentasche an seinem Gürtel. »Da bist du jetzt also frei. Kein Kontakt mehr zu deiner Religion, keine Kontrolle mehr durch die EF. Was willst du jetzt tun? Was fängst du mit deiner Freiheit an?«
»Ich will mich euch anschließen«, sagte Björn. »Ich will mich an der EF rächen. Dafür, dass sie mich zum Zombie gemacht haben.«
Seine eigenen Worte überraschten ihn, aber sobald er sie einmal ausgesprochen hatte, fühlten sie sich richtig gut an. »Interessant.« Nasrid schien amüsiert zu sein. »Von uns aus stellt sich die Sache so dar: Wir brauchen keine Verräter, keine Abenteurer, keine Revolverhelden. Wir brauchen Revolutionäre, die bereit sind, sich für die Freiheit einzusetzen. Die
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