Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Anzug schien mir zu formal; mein Blazer wäre besser gewesen, aber der war schon mehrere Jahre alt, und ich fand ihn ein wenig abgewetzt. Schließlich machte ich mir die ethnische Ausnahmeregel zunutze, die für jeden gesellschaftlichen Kodex gilt, und trug eine gestärkte weiße Kurta aus fein gearbeiteter Baumwolle über einer Jeans.
Es zeugte für die Aufgeschlossenheit und – wieder dieses allzu häufig gebrauchte Wort – das Kosmopolitische New Yorks zu jener Zeit, dass ich mich in diesem Aufzug absolut wohl in der U-Bahn fühlte. Überhaupt schien mich, abgesehen von einem schwulen Herrn, der mir höflich ein einladendes Lächeln zuwarf, niemand weiter zur Kenntnis zu nehmen. Ich gelangte von der Linie sechs auf die 72nd Street, mitten im Herzen der Upper East Side. Diese Gegend mit ihren reizenden Bistros, den exklusiven Geschäften und attraktiven Frauen in kurzen Röcken, die winzige Hunde ausführten, war mir verblüffend vertraut, obwohl ich noch nie dort gewesen war; später wurde mir klar, dass mir das so vorkam, weil viele Filme dort spielten.
Ericas Familie wohnte in einem eindrucksvollen Gebäude mit einer blauer Markise und einem älteren Doorman, der eine kühle, missbilligende Miene aufsetzte, die auch gut zu einem Torwächter vor einer der größeren Villen in Lahore gepasst hätte, wenn ich dort in einem kleinen, rostigen Auto vorgefahren wäre. Natürlich reagierte ich mit einem ebenso kalten und recht herrischen Ton – sorgfältig austariert, um ihm zu übermitteln, dass ich gekränkt war, es aber unter meiner Würde fand, es ihm zu sagen –, als ich ihm den Zweck meines Kommens nannte. Das hatte die erwünschte Wirkung; er telefonierte sofort, um zu erfragen, ob ich durchgelassen werden sollte, und geleitete mich – mit dem Bescheid, dass alles seine Richtigkeit habe – persönlich zum Fahrstuhl. Er wies mich an, die Taste fürs Penthouse zu drücken, ein Begriff, der für mich mit Luxus und – ja, ich gestehe es – auch mit Pornografie verbunden war. Daher traf ich in einem Zustand gesteigerter Erwartungen an Ericas Wohnungstür ein, die sich öffnete, noch bevor ich Gelegenheit hatte zu klopfen.
Erica empfing mich mit einem Lächeln; ihre gebräunte Haut leuchtete vor Gesundheit. Ich hatte vergessen, wie umwerfend sie aussah, und als wir, wegen des schmalen Eingangs, so dicht beieinanderstanden, musste ich den Blick senken. »Wow«, sagte sie und strich mit den Fingerspitzen über die Stickereien auf meiner Kurta. »Du siehst toll aus.« Ich erwiderte, dass auch sie toll aussehe, was stimmte, obwohl sie ein kurzes Mighty-Mouse-T-Shirt trug und sich allem Anschein nach nicht ganz so sehr wie ich mit Fragen der Kleiderwahl beschäftigt hatte. Sie sagte, sie wolle mir etwas zeigen, und ich folgte ihr in ihr Zimmer. Es war ungefähr doppelt so groß wie mein Studio und enthielt Kartons mit Uni-Büchern, einen Schreibtisch mit einem Computer und einem Laserdrucker, ein riesiges Bett, auf dem Kleider herumlagen, und einen Sandsack, der an einer Kette von der Decke herabhing; kurz, es wirkte bewohnt, wie ein Zimmer, das man schon sein ganzes Leben hatte.
Mich beschlich ein eigenartiges Gefühl; ich fühlte mich zu Hause. Das kam vielleicht daher, dass ich davor in einer Phase des Übergangs gelebt hatte – von einem Zimmer im Wohnheim zum andern gezogen war – und mich nach dem beständigen Leben meiner Vergangenheit sehnte; vielleicht auch, weil ich meine Familie und die Annehmlichkeiten eines Familiensitzes vermisste, wo Generationen zusammenblieben, statt jeder für sich in einem atomisierten Zustand altersbedingter Trennung; vielleicht auch, weil ein geräumiges Zimmer in einer vornehmen Wohnung an der Upper East Side nach amerikanischen Begriffen die sozio-ökonomische Entsprechung eines geräumigen Zimmers in einem vornehmen Haus in Gulberg war, wie das, in dem ich aufgewachsen war. Was auch immer, ich musste lächeln, worauf Erica ihrerseits lächelte und ein schmales braunes Päckchen hochhielt.
»Es ist fertig«, sagte sie feierlich. Ich wartete darauf, dass sie mehr sagte, und als nichts kam, fragte ich: »Nämlich?« »Mein Manuskript«, sagte sie. »Morgen schicke ich es einem Agenten.« Ich nahm es ehrfürchtig und hielt es auf beiden flachen Händen. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte ich und fügte, als ich merkte, dass es ziemlich leicht war, hinzu: »Ist das das ganze?« Sie nickte. »Es ist eher eine Novelle als ein Roman«, sagte sie. »Es lässt Raum für das Echo
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