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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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scherzhaft gemeint hatte, denn gleich darauf trank er wie ich – wie überhaupt alle – einen ordentlichen Schluck.
    Sherman ging, als der Champagner getrunken war, sagte uns aber, wir sollten nach Herzenslust weitermachen und alles Underwood Samson in Rechnung stellen. Das taten wir auch und torkelten dann gegen Mitternacht auf die Straße. Wainwright und ich nahmen zusammen ein Taxi downtown. »Hey Mann«, sagte er, »kapierst du Kricket?« Ich fragte ihn, was er meine. »Mein Alter ist verrückt danach«, sagte er. »Er ist von Barbados. West Indies gegen Pakistan« – und hier verfiel er in einen karibischen Singsang –, »verdammt bestes Testmatch, das ich je gesehn hab.« Ich lachte. »Das muss ja in den Achtzigern gewesen sein«, sagte ich. »Jetzt sind beide Teams gerade nicht so gut.«
    Wir hatten Hunger, und ich schlug vor, in das Pak-Punjab Deli zu gehen. Der Mann hinterm Tresen erkannte mich; am Morgen hatte er mir ein Essen spendiert, als ich erwähnte, es sei mein erster Arbeitstag. »Mein Freund«, sagte er und breitete die Arme zur Begrüßung aus.
    »Jenaab«, antwortete ich, den Kopf neigend, »gehst du denn nie nach Hause?« »Nicht genug«, sagte er. »Diesmal bestehe ich aber darauf, zu bezahlen«, sagte ich, zückte meine Kreditkarte und beugte mich – verschwörerisch wie auch betrunken – vor, um hinzuzusetzen: »Ich hab ein Spesenkonto.« Er schüttelte den Kopf und sagte zur sichtlichen Belustigung der erschöpften Taxifahrer, die dort saßen, es tue ihm leid, und wenn ich das Geld jetzt nicht hätte, könnte ich auch später bezahlen, aber American Express akzeptiere er nicht.
    Obwohl wir auf Urdu sprachen, schien Wainwright zu verstehen. »Ich hab’s bar«, sagte er. »Das Zeug sieht ja köstlich aus.« Darüber freute ich mich; auf unser Essen, das werden Sie während Ihrer Zeit hier wohl gemerkt haben, sind wir Lahoris sehr stolz. Außerdem ist es ein Zeichen der Freundschaft, wenn jemand einen zum Essen einlädt – was ein Verhältnis gegenseitiger Großzügigkeit einläutet –, und als ich dann eine Viertelstunde später sah, wie Wainwright sich die Finger ableckte, nachdem er das letzte Krümchen auf seinem Teller aufgetupft hatte, wusste ich, dass ich eine verwandte Seele im Büro gefunden hatte.
    Aber warum schrecken Sie zurück? Ah ja, dieser Bettler ist ein besonders bedauernswerter Zeitgenosse. Man fragt sich, was für eine Reihe von Unfällen ihn so entstellt haben mag. Er geht so nah an Sie ran, weil Sie Ausländer sind. Geben Sie ihm etwas? Nein? Sehr klug; man sollte Bettler nicht ermutigen, und, ja, da haben Sie recht, es ist viel besser, wohltätigen Einrichtungen etwas zu geben, die die Ursachen der Armut angehen, und nicht ihm, einem Geschöpf, das nur ihr Symptom ist. Was ich mache? Ich gebe ihm ein paar Rupien – natürlich aus Torheit und nur ausnahmsweise. Da, er will für unser Wohlergehen beten; jetzt zieht er weiter.
    Ich habe Ihnen von Wainwright erzählt. Im Laufe der nächsten Wochen zeigte es sich, dass er beste Chancen auf die Topposition in unserem Ranking hatte. Wir Berater-Trainees waren naturgemäß alle sehr ehrgeizig – das war zwangsläufig so, denn sonst hätten wir die Noten, deretwegen Underwood Samson uns überhaupt in Betracht gezogen hatte, gar nicht geschafft –, doch Wainwright zeigte es nicht so offen; er war herzlich und respektlos und folglich bei nahezu allen beliebt. Dennoch hatte ich keinen Zweifel, dass mein Freund auch äußerst begabt war: Seine Präsentationen waren bemerkenswert klar, er zeichnete sich in unseren zwischenmenschlichen Übungen aus und hatte einen Instinkt dafür, herauszufinden, was bei einem Projekt das Wesentliche war.
    Ich hoffe, Sie halten mich nicht für unbescheiden, wenn ich sage, dass auch ich mich von den anderen abhob. Ich hatte mir aus meiner Fußballzeit eine gewisse kontrollierte Aggression bewahrt – nein, keine Streitlust, sondern Entschlossenheit –, und die setzte ich für mein Streben nach Erfolg ein. Wie das? Nun, ich arbeitete hart – härter, so glaubte ich, als alle anderen: Ich gönnte mir nachts nur ein paar Stunden Schlaf –, und ich ging hochkonzentriert in jeden Unterricht. Meine Beharrlichkeit wurde von unseren Ausbildern häufig positiv erwähnt. Zudem erwies sich meine höfliche Förmlichkeit, die im Umgang mit meinen Altersgenossen zuweilen eine Barriere gewesen war, als ideal für das Arbeitsmilieu, in dem ich mich nun befand.
    Ich habe mich später immer wieder gefragt,

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