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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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der Gedanken.« Ich drehte es um und betrachtete die Beschaffenheit des Päckchens: das Klebeband, mit dem es versiegelt war, die Delle in einer Ecke. »Bist du aufgeregt?«, fragte ich sie. »Weniger aufgeregt als verunsichert«, sagte sie. »Es ist, als wäre ich eine Auster. Ich hatte lange so ein spitzes Körnchen in mir, und ich habe versucht, es angenehmer zu machen, also habe ich es ganz allmählich in eine Perle verwandelt. Aber jetzt wird sie mir entnommen, und dabei merke ich, dass sie eine Lücke hinterlässt, weißt du, eine Delle in meinem Bauch, wo sie mal gesessen hat. Und deshalb möchte ich irgendwie noch ein bisschen länger daran festhalten.« »Warum tust du’s dann nicht?«, fragte ich und gab es ihr zurück. »Das habe ich schon«, sagte sie und lächelte wieder. »Es hat schon in diesem Umschlag gelegen, als wir in Griechenland waren.«
    Ich fühlte mich geehrt und freute mich, dass sie mir das so anvertraute. Ich schaute ihr in die Augen, und zum ersten Mal fiel mir auf, dass dahinter etwas gebrochen war, wie ein feiner Riss in einem Diamanten, der erst sichtbar wird, wenn man ihn durch ein Vergrößerungsglas sieht, normalerweise aber von der Leuchtkraft des Steins überdeckt wird. Ich wollte wissen, was es war, was sie veranlasst hatte, die Perle zu schaffen, von der sie gesprochen hatte. Doch ich dachte, es sei anmaßend, sie danach zu fragen; bei derlei Dingen weiß jemand ganz genau, wann und wem gegenüber er etwas preisgeben will. Also versuchte ich, meinen Wunsch, sie zu verstehen, allein durch meine Miene auszudrücken, und sagte nichts weiter.
    Als wir ihr Zimmer verließen, fiel mir eine Zeichnung an der Wand auf. Sie zeigte eine Tropeninsel mit einer Landebahn und einem steilen Vulkan unter einem Sturmhimmel; in den Krater des Vulkans schmiegte sich ein See mit einer weiteren, kleineren Insel darin – eine Insel auf einer Insel –, wunderbar geschützt und ruhig. »Was ist das?«, fragte ich. »Das hat Chris gemacht«, antwortete sie, »als wir acht oder neun waren. Einer seiner Tim-und-Struppi-Comics hat ihn dazu angeregt, Flug 714 nach Sydney.« »Das ist schön«, sagte ich. Sie nickte. »Ja«, sagte sie. »Seine Mutter hat es mir geschenkt, als sie seine Sachen ausräumte.« Ich betrachtete es noch ein wenig, fasziniert von der feinen Pinselführung. Mit seiner Detailgenauigkeit – wenn auch natürlich nicht seinem Stil oder Thema – erinnerte es mich an unsere Miniaturmalereien, wie man sie fände, wenn man sich hier um die Ecke ins Lahore Museum oder in die Staatliche Kunstakademie wagte.
    Erica führte mich hinaus auf ihre Dachterrasse – ein privater Adlerhorst mit einem spektakulären Blick über Manhattan – und stellte mich ihren Eltern vor. Ihre Mutter saß an einer Tischtennisplatte, die mit vier Sets in den Ort unseres Abendessens verwandelt worden war; sie nahm meine Hand, sagte hallo und dann, noch immer meine Hand festhaltend, wohlwollend zu Erica: »Sehr nett.« »Benimm dich, Mom«, entgegnete Erica. Ihr Vater stand an einem Grill und legte Hamburger auf die Teller; seine Haltung machte deutlich, dass er ein bedeutender Mann in der Geschäftswelt war. Als wir uns zum Essen setzten, hob er eine Flasche Rotwein und sagte zu mir: »Trinken Sie?« »Er ist zweiundzwanzig«, sagte Ericas Mutter an meiner statt in einem Ton, als wollte sie sagen: Also trinkt er natürlich auch. »Einmal hat ein Pakistani für mich gearbeitet«, sagte Ericas Vater. »Der hat nie getrunken.« »Ich schon, Sir«, versicherte ich ihm. »Vielen Dank.«
    Das scheint Sie zu verblüffen – und nicht zum ersten Mal. Vielleicht interpretieren Sie meinen Bart ganz falsch, den ich, das sollte ich wohl klarstellen, noch nicht hatte, als ich nach New York kam. Tatsächlich trinken viele Pakistani; das Alkoholverbot in unserem Land hat ungefähr die gleiche Wirkung wie das von Marihuana in Ihrem. Auch sind nicht alle unsere Trinker westlich gebildete Städter wie ich; unsere Zeitungen bringen regelmäßig Berichte über Dorfbewohner, die nach dem Verzehr von schlechtem Selbstgebranntem Zeug gestorben oder blind geworden sind. Ja, in unserer Lyrik und unseren Volksliedern nimmt der Rausch immer wieder die Rolle des Begünstigers von Liebe und spiritueller Aufklärung ein. Wie? Ob das keine Sünde ist? Doch, selbstverständlich – ebenso wie seines Nächsten Weibes zu begehren. Ich sehe, Sie lächeln; wir verstehen uns also.
    Aber ich schweife ab. Ich wollte Ihnen von meinem ersten Essen mit

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