Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
müsste mich bei ihr bedanken, aber dafür hatte ich keine Zeit mehr, denn sie zog die Tür zu, und weg war sie.
In den folgenden Wochen lud sie mich mehrmals zu Veranstaltungen ein. Aber anders als beim ersten Abend – als wir in ihrem Zimmer und im Taxi zusammen waren – waren wir nie wieder allein. Wir gingen in einen kleinen Musikclub in der Lower East Side, ein französisches Restaurant im Schlachthofviertel, zu einer Loft-Party in TriBeCa, aber immer in der Gesellschaft anderer. Oft ertappte ich mich dabei, wie ich Erica beobachtete, wenn sie im Kreis ihrer Bekannten irgendwo stand oder saß. In solchen Augenblicken wirkte sie häufig in sich gekehrt; es war, als gestattete ihr deren Anwesenheit, sich in sich zurückzuziehen, einen halben Schritt nach innen zu tun. Sie erinnerte mich an ein Kind, das nur bei offener Tür und angeschaltetem Licht schlafen konnte.
Manchmal merkte sie, dass ich sie ansah, dann lächelte sie mich an, als hätte ich ihr – jedenfalls bildete ich es mir ein – einen Schal um die Schultern gelegt, nachdem sie von einem Spaziergang in der Kälte zurückgekommen war. Bei solchen Unternehmungen wechselten wir nur Nettigkeiten, und dennoch fand ich, dass unsere Beziehung sich vertiefte. Am Ende des Abends küsste sie mich dann auf die Wange, und ich hatte den Eindruck, als verweilten ihre Lippen jedes Mal ein klein wenig länger darauf, bis ihre Küsse so lange währten, dass ich einen Hauch von ihrem Duft einfing und spürte, wie weich das Grübchen an ihrem Mundwinkel war.
Am Wochenende vor meiner Abreise nach Manila wurde meine Geduld belohnt; Erica fragte mich, ob ich zu einem Picknick im Central Park mitkommen wolle, und ich fand heraus, dass niemand sonst dabei sein würde. Es war einer jener wunderschönen New Yorker Nachmittage Ende Juli, wenn eine steife Brise vom Atlantik die Bäume anschwellen lässt und die Wolken über den Himmel jagen. Sie kennen das gut? Ja, genau; die Schwüle verschwindet, und die Stadt füllt ihre Lungen mit kühlerer Salzluft. Erica trug einen Strohhut und hatte einen Korb mit Wein, frisch gebackenem Brot, Aufschnitt, diversen Sorten Käse und Trauben dabei – eine köstliche und für mich ziemlich raffinierte Zusammenstellung.
Wir lagen im Gras, plauderten und aßen. »Machen die Leute in Lahore auch Picknicks?«, fragte sie mich. »Im Sommer weniger«, sagte ich. »Jedenfalls nicht, wenn sie es sich aussuchen können. Dafür ist die Sonne zu stark, und diejenigen, die draußen sitzen, drängen sich im Schatten.« »Dann ist dir das jetzt bestimmt ganz fremd«, sagte sie. »Nein«, antwortete ich, »es erinnert mich sogar daran, wie meine Familie nach Nathia Galli fuhr, in die Ausläufer des Himalaya. Dort aßen wir oft im Freien – mit Tee und Gurkensandwiches vom Hotel.« Sie lächelte über das Bild, verlor sich dann in Gedanken und schwieg.
»Das habe ich lange nicht mehr gemacht«, sagte sie nach einer Weile. »Chris und ich waren oft hier im Park. Wir hatten diesen Korb dabei und lasen dann stundenlang oder lagen einfach nur herum.« »Und als er dann tot war«, fragte ich, »bist du da nicht mehr hergekommen?« »Ich habe«, antwortete sie, wobei sie ein Gänseblümchen abzupfte, »eine Menge Sachen nicht mehr gemacht. Eine Zeitlang habe ich mit niemandem mehr geredet. Nichts mehr gegessen. Ich musste ins Krankenhaus. Dort sagten sie, ich solle nicht so viel daran denken, und gaben mir Medikamente. Meine Mom musste ein Vierteljahr mit der Arbeit aussetzen, weil ich nicht allein sein konnte. Aber das behielten wir für uns, und im September war ich dann wieder in Princeton.«
Mehr sagte sie nicht dazu, und sie sagte es mit normaler, wenn auch leiser Stimme. Aber wieder sah ich dabei – nun noch deutlicher als zuvor – den Riss in ihr; er weckte in mir eine beinahe familiäre Zärtlichkeit. Als wir zum Gehen aufstanden, bot ich ihr meinen Arm, und lächelnd hakte sie sich ein. Dann marschierten wir los und ließen den Central Park hinter uns. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie kühl und glatt sich ihre Haut auf meiner anfühlte. Nie zuvor hatten wir über einen so langen Zeitraum Hautkontakt gehabt; der Eindruck, dass ihr Körper, der doch einer so Verwundeten gehörte, so stark war, hallte noch lange in mir nach. Noch Wochen später, in meinem Hotelzimmer in Manila, wachte ich manchmal auf und meinte, ein Geist hätte mich berührt.
Na, so ein Pech! Die Lichter sind ausgegangen. Aber Sie müssen doch nicht gleich
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