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Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Titel: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohsin Hamed
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Ericas Familie erzählen. Es war ein warmer Abend wie heute – der Sommer in New York ist wie der Frühling hier in Lahore. Eine Brise wehte, ebenfalls wie jetzt, und es lag der Duft gerösteten Fleischs darin, ganz ähnlich dem, der uns aus den vielen Straßenrestaurants hier auf dem Markt entgegenweht, die mit ihren Vorbereitungen fürs Abendessen beginnen. Der Rahmen war großartig, der Wein köstlich, die Burger saftig und unsere Unterhaltung zumeist recht angenehm. Erica wirkte glücklich darüber, dass ich da war, und ihre Heiterkeit steckte mich an.
    Allerdings erinnere ich mich, dass ich mich einmal in der Unterhaltung ärgerte. Ericas Vater hatte mich gefragt, wie die Lage zu Hause sei, und ich hatte geantwortet, danke, ganz gut, worauf er fragte: »Aber die Wirtschaft bricht doch zusammen, nicht? Korruption, Diktatur, die Reichen leben wie die Fürsten, und alle anderen leiden. Anständige Leute, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Pakistani. Aber die Elite hat das Land doch von vorn bis hinten ausgeplündert, oder? Und der Fundamentalismus. Mit dem habt ihr doch ernste Probleme.«
    Ich merkte, wie ich innerlich rebellierte. Was er gesagt hatte, war eigentlich nicht zu beanstanden, und es war ja auch eine durchaus kenntnisreiche Zusammenfassung, ganz wie die Kurznachrichten auf der Titelseite des Wall Street Journal , das ich kurz davor zu lesen begonnen hatte. Aber sein Ton – dieser, verzeihen Sie bitte, typisch amerikanische herablassende Unterton – berührte mich unangenehm, und nur aus Höflichkeit beschränkte ich meine Antwort auf: »Ja, es gibt Herausforderungen, Sir, aber meine Familie ist dort, und ich kann Ihnen versichern, dass es so schlimm nicht ist.«
    Zum Glück verlief das Essen ohne weitere Zwischenfälle. Anschließend fuhren Erica und ich mit dem Taxi nach Chelsea, wo eine Freundin, die Tochter des Inhabers einer Galerie für zeitgenössische Kunst, sie zur Eröffnungsparty einer Vernissage eingeladen hatte. Ich hörte den Fahrer an seinem Handy auf Punjabi schwatzen und wusste daher, dass er Pakistani war. Normalerweise hätte ich ihn begrüßt, aber an dem Abend tat ich es nicht. Erica beobachtete mich mit beträchtlicher Neugier; schließlich meinte sie: »Hoffentlich bist du nicht mehr sauer über das, was mein Dad gesagt hat.« »Sauer?«, antwortete ich. »Natürlich nicht. Nicht im Mindesten.« Sie lachte. »Du bist ein miserabler Lügner«, sagte sie. »Du bist empfindlich in Bezug auf deine Herkunft. Das sieht man dir sofort an.« »Dann entschuldige ich mich dafür«, sagte ich. »Ich hatte nicht das Recht, unhöflich zu sein.« »Du bist nie unhöflich«, sagte sie lächelnd, »und ich finde es gut, wenn man manchmal empfindlich ist. Das bedeutet, dass einem etwas wichtig ist.«
    Wir stiegen in der West 24th Street aus. Ich bestand darauf, das Taxi zu bezahlen, dann führte Erica mich an der Hand in ein wenig eindrucksvolles Gebäude, einen heruntergekommenen postindustriellen Klotz. Beim Eintreten hörte ich Musik, die lauter wurde, je höher wir die Treppe hinaufkamen, bis wir schließlich eine Feuertür aufstießen und in Lärm eintauchten. Die Galerie war ein riesiger Raum, weiß, mit klaren Linien und minimalistischer Ausstattung; auf den leeren Köpfen von Schaufensterpuppen leuchteten Videoprojektionen von Gesichtern. Ich erkannte, dass ich in eine Insiderwelt eingeführt wurde – das schicke Herz der Stadt –, zu der ich sonst keinen Zugang gehabt hätte. Wir kamen an Models vorbei, an alten, gebräunten Männern, Künstlern in schrillen Outfits; ich war froh, dass ich meine Kurta angezogen hatte.
    Erica stand bald im Mittelpunkt eines Kreises von Freunden, von denen ich noch keinem zuvor begegnet war. Ich beobachtete, wie es die Menschen zu ihr hinzog, es erinnerte mich an unseren Griechenlandurlaub, an die Anziehungskraft , die sie auf unsere Gruppe ausgeübt hatte. Doch diesmal war es anders; jetzt war sie mit mir da, und sie sorgte dafür – durch einen Blick, ein angebotenes Getränk, ihre Hand an meinem Ellbogen –, dass wir den ganzen Abend verbunden blieben. Als sie mich dann Stunden später auf die Wange küsste, während ich ihr die Tür des Taxis aufhielt, mit dem sie allein nach Hause fuhr, war es mir, als hätten wir einen vertrauten Abend zusammen verbracht, auch wenn wir auf der Party wenig miteinander gesprochen hatten. Vielleicht empfand sie es genauso, denn im selben Moment sagte sie »Danke«. Das überraschte mich; ich dachte, ich

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