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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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knochiger ist, als mir damals lieb sein konnte. Die nächsten, die an die Reihe kamen, weckten uns brutal. Während sie die vorgewärmten Liegestätten einnahmen, kauerten wir am Kanalrand und überprüften besorgt den Druck in den Gasflaschen. Es war bereits klar, daß uns in wenigen Stunden der Sauerstoff ausgehen mußte. Die in Aussicht stehende Versklavung durch Güte schien unabwendbar und stimmte uns alle düster. Die Gefährten wußten, daß ich diese Seligkeit schon verkostet hatte; begierig fragten sie nach meinen Eindrücken. Das sei gar nicht so arg, beteuerte ich, aber ohne echte Überzeugung. Schläfrigkeit plagte uns. Um nicht in den Kanal zu fallen, banden wir uns mit allen tauglichen Mitteln an der Eisenleiter fest, die vom Deckel herabführte. Ein Explosionsgeräusch, stärker als alle bisherigen, riß mich aus unruhigem Schlummer. Ich sah mich in dem Halbdunkel um, das uns umgab; aus Sparsamkeit hatten wir nämlich die Taschenlampen bis auf eine einzige ausgeknipst. Aus dem Kanal krochen große dicke Ratten an Land. Das war insofern merkwürdig, als sie im Gänsemarsch auf den Hinterpfoten gingen. Ich kniff mich, aber das war kein Traum. Ich weckte Professor Trottelreiner und zeigte ihm das Phänomen; er wußte nicht, was er davon halten sollte. Die Ratten gingen paarweise und beachteten uns nicht; jedenfalls suchten sie uns nicht abzulecken. Der Professor meinte, dies sei immerhin ein gutes Zeichen; die Luft sei höchstwahrscheinlich rein. Vorsichtig nahmen wir die Masken ab. Die beiden Reporter zu meiner Rechten schliefen bestens; die Ratten spazierten weiterhin auf zwei Beinen; ich aber und der Professor, wir begannen zu niesen, so sehr juckte uns die Nase. Ich hielt dies zunächst für die Wirkung der Kanalgerüche – bis ich erstes Wurzelwerk wahrnahm. Ich neigte mich über die eigenen Beine. Jeder Irrtum war ausgeschlossen! Ich trieb Wurzeln aus, ungefähr von den Knien abwärts; höher oben aber ergrünte ich. Sogar die Arme schlugen schon aus; die Knospen öffneten sich rasch, wuchsen zusehends und schwollen, freilich ohne rechte Farbe, weißlich, wie dies bei Kellerpflanzen vorkommt. Ich spürte, daß ich alsbald Früchte tragen sollte. Ich wollte Trottelreiner fragen, wie er sich dies erkläre, aber ich mußte die Stimme erheben, weil er so laut rauschte. Auch die Schläfer ähnelten einer gestutzten Hecke mit lilafarbenem und scharlachrotem Blütenflor. Die Ratten rupften Blätter, fuhren sich mit den Pfoten über den Schnurrbart und wuchsen. – Ein bißchen noch – dachte ich –, dann wird man aufsitzen können. – Ein Baum strebt nun mal zur Sonne, so auch ich. Wie aus ungeheurer Ferne drang rhythmisches Dröhnen herüber, etwas stürzte ein, es krachte, das Echo lief die Gänge entlang, ich begann mich zu röten, dann wurde ich golden, zuletzt warf ich Blätter ab. – Was, schon Herbst? – staunte ich. – So bald? Doch dann wäre es an der Zeit, wieder abzureisen! – Ich entwurzelte mich also und spitzte zur Kontrolle die Ohren. Nicht zu leugnen: die Schlachthörner schmetterten. Der gesattelte Ratz, selbst unter Reittieren ein seltenes Prachtexemplar, wandte den Kopf nach mir um und besah mich unter schräg hängenden Liddeckeln hervor mit den traurigen Augen Professor Trottelreiners. Jäher Zweifel peinigte mich: ist es der Professor, der einer Ratte ähnelt, so schickt es sich nicht, ihn zu besteigen; wenn hingegen eine simple Ratte dem Professor ähnlich sieht, dann kann mir das gleichgültig sein … Aber die Schlachthörner schmetterten. Unbewehrt und im Sprung saß ich auf und fiel in den Kanal. Erst dieses ekle Bad ernüchterte mich. Bebend vor Abscheu und Wut, kroch ich hinaus auf den Trittsteig. Die Ratten machten mir widerwillig ein wenig Platz. Noch immer spazierten sie auf zwei Beinen. – Ist ja klar! – durchblitzte es mich. – Die Halluzinogene! Wenn ich mich für einen Baum gehalten habe, dann können sich die da genausogut für Menschen halten! – ich tastete nach der Sauerstoffmaske, um sie schleunigst aufzusetzen. Als ich sie gefunden und übers Gesicht gestreift hatte, atmete ich dennoch unruhig. Wie sollte ich mich vergewissern, ob es eine rechtschaffene Maske sei oder nur ihr Trugbild? Plötzlich wurde es hell um mich her. Als ich den Kopf hob, sah ich die geöffnete Luke und darin einen amerikanischen Armeesergeanten, der mir die Hand entgegenstreckte. »Schneller!« – rief er. »Schneller!«
    »Wie? Sind Hubschrauber angekommen?!« – ich sprang

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