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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Palme, hielt die Augen geschlossen, und auf seinem Gesicht – auf beiden Wangen – erschienen ganz von selbst rote Flecke, deutlich wie flache Hände geformt. Er schüttelte den Kopf, rieb sich dann die Augen, nieste, schneuzte sich und machte sich wieder ans Blumengießen. Ach, trotz allem weiß ich noch so wenig! Von Aileen kam eine Tastpostkarte. Ist das nicht schön? Die neuzeitliche Technik im Dienste der Liebe! Ich denke, wir werden wohl heiraten. Bei Symingtons war ein Wildling zu Gast, ein Fänger künstlicher Wildtiere, soeben aus Afrika eingelangt. Er erzählte von den Negern, die sich mit Albinol weißgebleicht haben. – Ob es wohl recht ist – dachte ich –, die angeschwollenen rassischen und sozialen Probleme chemisch beizulegen? Hat man sich das nicht zu leicht gemacht? Per Post erhielt ich eine Werbepackung Sugger. Dieser Stoff wirkt selbst überhaupt nicht auf den Organismus, sondern suggeriert nur, man solle alle sonstigen Psychemikalien einnehmen. Demnach gibt es offenbar Leute, die das Zeug nicht essen mögen? Diese Folgerung richtet mich auf. 29. 9. 2039. Nach dem heutigen Gespräch mit Symington kann ich mich noch gar nicht fassen. Das war ein grundsätzliches Gespräch, vielleicht ausgelöst durch eine gemeinschaftlich eingenommene Überdosis Sympathol mit Amigon. Er war aufgeheitert: seinen Entwurf hatte er just vollendet. »Tichy«, – sagte er mir – »Sie wissen, daß wir im Zeitalter der Pharmakokratie leben. Es hat den Wunschtraum Benthams verwirklicht: das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Sie erinnern sich an die Worte des französischen Denkers: ›Es genügt nicht, glücklich zu sein; es tut auch not, daß andere unglücklich sind«
    »Der Aphorismus eines Lästermauls!« – erboste ich mich. »Nein. Die Wahrheit. Wissen Sie, was wir bei ›Procrustics‹ herstellen? Unser Handelsgut ist das Böse.«
    »Sie belieben zu scherzen …«
    »Nein. Wir haben das Widersprüchliche verwirklicht. Jeder kann jetzt seinem Nächsten alles Unliebsame antun, ohne ihn im mindesten zu schädigen. Wir haben das Böse gezähmt, wie die Krankheitskeime, woraus Arzneien bereitet werden. Kultur, mein Herr, das bedeutete früher, daß der Mensch dem Menschen einredete, der Mensch müsse gut sein. Nichts als gut. Und wohin mit dem ganzen Rest? Der wurde im Laufe der Geschichte bald so, bald so in ferne Winkel gestopft, propagandistisch, polizistisch, und immer ragte zuletzt irgendwo ein Endchen heraus, sprengte und zerstörte das Ganze.«
    »Aber der Verstand sagt uns, daß man gut sein soll!« – beharrte ich. »Das ist altbekannt! Im übrigen sehe ich ja, wie jetzt alle gemeinsam wirken, angemessen, fröhlich, tüchtig, herzlich, stimmig, aufrichtig und zuverlässig …« Er fiel mir ins Wort: »Und just deshalb lockt es uns um so stärker, draufloszuhauen, übers Ohr, gepfeffert, kreuz und quer, das ist unerläßlich für das Gleichgewicht, für den Seelenfrieden, für die Gesundheit!«
    »Wie bitte?«
    »Na, lassen Sie die Heuchelei. Den Selbstbetrug. Derlei ist nicht mehr nötig. Wir sind befreit; wir danken das der Traumastik und den Pejaltruiden. Für jeden soviel Böses, wie das Herz begehrt, soviel Unglück, soviel Schande – anderer Leute, versteht sich. Ungleichheit, Knechtschaft, Zwist, schnell die Damen besprungen und zu Pferde! Als wir die ersten Warenposten auf den Markt warfen, waren sie flugs vergriffen. Ich erinnere mich, wie die Leute durch die Museen sausten, in die Kunstgalerien; jeder wollte mit einer Brechstange die Werkstatt Michelangelos stürmen, ihm die Statuen zerschmeißen und die Gemälde durchlöchern und gegebenenfalls auch den Meister selbst versohlen, sofern er sich in den Weg zu stellen wagte … Das wundert Sie, Tichy?«
    »Wundern ist gar kein Ausdruck!« brauste ich auf. »Weil Sie noch im Banne der Vorurteile stehen. Aber jetzt darf man ja bereits, begreifen Sie nicht? Wie? Sie sehen Jeanne d’Arc, und Sie spüren gar nicht: diese geistbeseelte Zierlichkeit, diese Engelsmiene, diese himmlische Grazie gehört verdroschen! Sattel, Gurtzeug, die Zügel straff und hü hott! Im Galopp, im Sechsgespann. Damen unter Federbüschen, im gegebenen Fall mit Schellengeklingel, mit Peitschengeknall eine Schlittenpartie auf der flinken Marie, es kann auch ein Pärchen sein …«
    »Mensch, was reden Sie da?!« – schrie ich, und die Stimme bebte mir vor Schreck. »Satteln? Zäumen?

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