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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Aufsitzen?«
    »Versteht sich. Der Gesundheit und der Hygiene zuliebe, aber auch der Vollständigkeit halber. Sie, mein Herr, nennen bloß die Person, füllen unseren Fragebogen aus und vermerken dort Feindseligkeiten, Kränkungen, Zankäpfel … Das ist im übrigen nicht unbedingt nötig, denn zumeist besteht ja das Gelüst, ohne den mindesten Anlaß jemandem Übles zuzufügen – das heißt, den Anlaß bildet anderer Leute Klarheit, Tugend, Schönheit … Gut, Sie zählen das auf und empfangen unseren Katalog. Binnen vierundzwanzig Stunden führen wir jede Bestellung aus. Sie aber bekommen den ganzen Satz von Wirkstoffen per Post. Einzunehmen mit Wasser, am besten auf nüchternen Magen, aber das muß nicht sein.« Nun begriff ich die Inserate der Firma, das im »Herald« und auch das in der »Washington Post«. – Aber – so dachte ich fieberhaft und verschreckt – warum kommt er mir so? Woher diese Anregungen mit Bezug auf das Satteln, diese reitsportlichen Vorschläge, warum denn rittlings, du heiliger Gott, wartet denn auch hier irgendwo mein Kanal, mein Wecksignal und Vorgemach, die Handhabe wachen Daseins?? – Aber der Ingenieur und Entwerfer (ha, was mochte er wohl entworfen haben?), der merkte nichts von meiner Zerrissenheit, oder er deutete sie falsch. »Die Befreiung verdanken wir der Chemie« – schwatzte er unbeirrt weiter. »Denn alles Vorhandene existiert als Stärkeveränderung von Wasserstoffionen an der Oberfläche der Gehirnzellen. Tichy, wenn Sie mich sehen, dann widerfährt Ihnen im Grunde genommen eine Veränderung des Säure-Basen-Gleichgewichts an den Zellwänden der Neuronen. Somit genügte es, dort hinein ins Gehirn-Dickicht einige ausgesuchte Moleküle zu entsenden – und schon erleben wir mit wachen Sinnen, wie Hirngespinste in Erfüllung gehen. Ja, Freund, im übrigen wissen Sie das ja bereits« – endigte er mit leiserer Stimme. Er entnahm einer Schublade eine Handvoll bunter Pillen; sie sahen aus wie Zuckerstreusel für Kinder. »Hier – das von uns produzierte Böse, das die seelischen Begierden stillt! Hier – die Chemie; sie glättet die Sünden der Welt!« Ich fischte mit zitternden Fingern ein Kaltlasser-Pastillchen aus der Rocktasche, schluckte es mit trockener Kehle und bemerkte sodann: »Wenn möglich, dann zöge ich offen gesagt eine sachlichere Darlegung vor.« Symington zog die Brauen hoch, nickte schweigend, öffnete die Schublade, holte etwas heraus, nahm es ein und erwiderte: »Wie es beliebt. Das Modell T der neuen Technologie, die primitiven Anfänge, habe ich Ihnen geschildert. Den Traum mit der Brechstange. Die Konsumenten machten sich ans Geißeln und Fensterstürzen – felicitas per extractionem pedum. Doch Einfallsreichtum von so engem Zuschnitt versiegte bald. Was wollen Sie? Es mangelte an Phantasie – und an Vorbildern. Im Lauf der Geschichte wurde ja öffentlich bloß das Gute ausgeübt – und nur unter seinem Deckmantel das Böse. Das heißt, im Schutz ausgesuchter Ausreden wurde geplündert, eingeäschert, vergewaltigt, alles im Namen höherer Ideale. Nun, und dem privaten Bösen fehlten sogar solche Leitsterne. Was sich unterderhand abspielt, ist immer hausbacken, ungefüge, schlechthin stümperhaft. Die Reaktionen der Kunden lieferten hierfür den klaren Beleg. In den Bestellungen wiederholte sich bis zum Überdruß immer dasselbe: Überfallen, Zerquetschen, Davonlaufen. So wollten es die Denkgewohnheiten. Mit der Gelegenheit zum Bösen ist wenig getan; die Leute brauchen dazu auch ihr gutes Recht. Sehen Sie, es wirkt weder günstig noch erfreulich, wenn der liebe Nächste (was immer vorkommen kann) nochmals Atem schöpft und uns zuruft: ›Wofür?‹ oder ›Schämst du dich gar nicht?‹ Wie unangenehm, wenn es uns dann die Rede verschlägt! Die Brechstange ist kein ideales Gegenargument. Jeder fühlt das. Die Kunst liegt darin, derlei unzeitige Einwände verachtungsvoll vom richtigen Standpunkt aus abzutun. Jeder will wüten, aber so, daß er sich dabei nicht zu schämen braucht. Rache ist gutes Recht, ja, aber was hat dir Jeanne d’Arc getan? Nur daß sie besser ist, lichtvoller? Du bist also der Schlechtere, nur trägst du eben eine Stange. Niemand wünscht sich das so. Jeder will Böses verüben, das heißt, ein Schuft und Wüterich sein – und zugleich edel und großartig bleiben. Geradezu herrlich! Alle wollen herrlich sein. Und dies auf die Dauer. Je schlechter, desto herrlicher. Das ist nahezu unmöglich, und just deshalb sind alle so

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