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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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scharf darauf. Der Kunde will nicht bloß Witwen und Waisen ruinieren, er will dies im Glänze der eigenen Rechtlichkeit tun. An Verbrechern mag sich niemand vergreifen, obwohl man gerade dabei in der Gloriole des Rechts und der Gerechtigkeit auftritt. Aber das ist abgedroschen. Langweilig. Denen soll der Henker heimleuchten. Gebt dem Käufer die Engelsreinheit, die Heiligkeit in Person, auf solche Weise aufgetischt, daß er sich daran austobt mit dem Bewußtsein, daß er nicht bloß darf, sondern sogar soll. Mann, begreifen Sie die hohe Meisterleistung, diese Gegensätze zu vereinen? Immer handelt es sich letztlich um den Geist, nicht um den Körper. Der Körper ist nur Mittel zum Zweck. Wer das nicht weiß, der endet in der Metzgerei, beim Blutwurstmachen. Freilich ist diese Erkenntnis vielen Kunden zu hoch. Für sie haben wir die Abteilung von Doktor Hopkins: weltliches und geistliches Hauwesen. Na, zum Beispiel das Tal Josaphat; die Teufel holen alle außer dem Käufer; ihn aber nimmt gegen Ende des Jüngsten Gerichts der Herrgott höchstselbst geradezu unterwürfig in seine Glorie auf. Manche verlangen, Gott solle sie zum Abschluß ersuchen, mit ihm Platz zu tauschen – aber das ist der Snobismus von Idioten. Kindereien, mein Herr. Die Amerikaner haben seit jeher einen Hang dazu. Alle diese Zerreißer und Schlagwerke« – angeekelt schwenkte er den dicken Katalog –, »das sind doch Plumpheiten! Der Mitmensch ist kein Paukenfell, sondern ein feinfühliges Instrument!«
    »Moment mal« – sagte ich, die nächste Kaltlasser-Pastille einnehmend. »Was entwerfen Sie dann eigentlich?« Symington lächelte stolz. »Kompositionen ohne Schlagzeug.«
    »Kompositionen? Doch nicht etwa Musik?«
    »Aber nein, mein Herr! Wer fühlen will, muß nicht hören. Aber ich komponiere grundsätzlich ohne Schlagzeug. Meine Entwürfe mißt man nicht in Schlägen, sondern in Angsttraum-Einheiten. Eine A. E. entspricht dem Unlustgefühl eines Familienvaters, dessen sechsköpfige Familie vor seinen Augen massakriert wird. Nach diesem Meßsystem hat Gott dem Hiob sechs A. E. verpaßt, Sodom aber und Gomorra, das waren göttliche Vierziger. Aber genug von der rechnerischen Seite! Im Grunde bin ich Künstler, und dies auf völlig unberührtem Neuland. Die Theorie des Guten haben Scharen von Denkern entwickelt, doch infolge von falscher Scham rührte fast niemand an die Theorie des Bösen, so daß sie verschiedenen Banausen und Quacksalbern in die Hände geriet. Grundfalsch ist die Annahme, man könne mir nichts, dir nichts auf kunstvolle, gesuchte, verfeinerte und verschlungene Weise böse sein – ohne Training, ohne Übung, ohne Eingebung, ohne fundierte Studien. Torturistik, Tyrannistik, beiderlei Hauwesen reichen nicht aus. Das ist kaum die Vorschule zu den eigentlichen Belangen. Im übrigen läßt sich kein Universalrezept angeben. Suum malum cuique!«
    »Und euer Kundenstock ist groß?«
    »Unseren Kundenstock bilden alle Lebenden. So geht das bei uns von klein auf. Die Kinder bekommen väterschlägige Lutschbonbons, zwecks Entladung von Haßgefühlen. Sie wissen ja, Tichy: der Vater – der Ursprung der Verbote und Nonnen. Man verabreicht Freudian. Und niemand hat einen Ödipuskomplex!« Ohne jede Pille verließ ich ihn. Dies also steckt dahinter! Welch eine Welt! Ob deshalb alle so keuchen? Ich bin von Ungeheuern umringt.
    30.9.2039. Ich weiß nicht, was ich in Sachen Symington tun soll. Aber zwischen uns kann nicht alles beim alten bleiben. Aileen riet mir: »Bestell dir seinen Umwurf! Ich spendiere ihn dir, wenn du magst!« Gemeint war die Heimzahlung, die sich bei »Procrustics« in Auftrag geben läßt: die Szene meines Triumphes über Symington, der sich zu meinen Füßen im Staub wälzt und einbekennt, er selbst, seine Kunst und seine Firma seien ein Haufen Unflat. Doch wie könnte ich zu dieser Methode greifen, um dadurch ebendiese Methode leugnen und ächten zu lassen? Aileen versteht das nicht. Zwischen uns beiden beginnt etwas schiefzugehen. Von der Tante ist sie dicker und kleiner zurückgekommen, nur der Hals ist jetzt wesentlich länger. Nun, vom Körper einmal abgesehen – die Seele ist wichtiger, wie jenes Ungeheuer gesagt hat. Ach, wie falsch habe ich die Welt eingeschätzt, in der ich weilen muß! Und ich bildete mir ein, mich darin zurechtzufinden! Jetzt bemerke ich allerlei, was meiner Aufmerksamkeit früher entging. Zum Beispiel begreife ich schon, was der Nachbar, der sogenannte Stigmatiker, im Hof getan

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