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Der Gamma-Stoff

Der Gamma-Stoff

Titel: Der Gamma-Stoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Gunn
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zum Teil von dem sengenden Reif an seinem Handgelenk getrieben, zum Teil von seinen Gefühlen für das Mädchen.
    Auf irgendeine Weise – er vermochte die lange Reihe von Zufälligkeiten nicht bis zu ihrem Ursprung zurück zu verfolgen – war er dazu gebracht worden, diese bemitleidenswerte Expedition vom Medizinischen Zentrum zur Gouverneursvilla zu führen. Von Anfang an war sein Leben bedroht gewesen, und zwar nicht – wenn nicht alle Hoffnungen trogen – nur ein paar Jahre, sondern die Ewigkeit. Sollte er das alles aufgeben, in einem tölpelhaften Versuch, ein Mädchen aus der Mitte eines Rudels grausamer junger Wölfe zu retten?
    Aber was sollte er tun, solange er diesen Reif trug? Und was sollte aus dem Gouverneur werden? Was aus Marna?
    »Ralph?« fragte jemand aus dem Dunkel, und die Entscheidung war ihm abgenommen.
    »Ja, wo sind denn alle?« lispelte er.
    »Wie üblich – unter dem Wall.«
    Harry hinkte auf die Stimme zu. »Ich kann überhaupt nichts sehen.«
    »Hier ist Licht.«
    Die Bäume wurden hell, und eine schwarze Gestalt tauchte vor Harry auf. Harry blinzelte, kniff die Augen zusammen und schlug mit der Handkante zu. Als der Mann zu Boden stürzte, fing Harry die Lampe auf und betastete das Genick des Bewußtlosen. Er schien sich den Hals gebrochen zu haben, aber er atmete noch.
    Harry hob den Kopf. Irgendwo vor ihm flackerte Licht. Nichts bewegte sich, niemand rief; man hatte ihn also nicht gehört. Er knipste das Licht an, sah den Fußpfad und machte sich auf den Weg.
    Das Lagerfeuer war unter einem Überhang angezündet worden, damit man es von oben nicht zu sehen vermochte. An einem Spieß brieten sie ein Reh. Harry begriff, was der Schmerz in seinem Magen bedeutete; er hatte Hunger.
    Die übrigen Edelleute saßen im Halbkreis um das Feuer, Marna auf der anderen Seite, mit gefesselten Händen. Sie hob den Kopf und suchte die Dunkelheit ab. Wonach suchte sie? Natürlich – nach ihm. Sie wußte, daß er in der Nähe war.
    Er hätte ihr gerne ein Zeichen gegeben, aber es war nicht möglich. Er betrachtete die Edelleute: einer war ein Albino, ein zweiter ein Wasserkopf, ein dritter ein Spastiker. Die anderen mochten körperliche Defekte haben, die Harry nicht sehen konnte – alle, bis auf einen, der älter zu sein schien als die anderen und am Rand des Lehmwalls lehnte. Er war blind, aber man hatte ihm in die Augenhöhlen elektrisch funktionierende Ferngläser eingepflanzt. Auf dem Rücken trug er ein Stromaggregat mit Anschlüssen für die Gläser und eine Antenne in seinem Jackett.
    Harry schlich sich vorsichtig am Waldrand entlang, hinüber zur Marna.
    »Zuerst das Festmahl«, jauchzte der Albino, »dann das Vergnügen.«
    Der Mann, der den Spieß drehte, sagte: »Ich finde, wir sollten uns zuerst das Vergnügen gönnen – dann haben wir erst richtig Hunger.«
    Sie diskutierten miteinander, zuerst gutmütig, dann, als sich die anderen einmischten, mit größerer Hitze. Schließlich wandte sich der Albino dem Mann mit den Ferngläsern zu.
    »Was meinst du, Eyes?«
    Mit tiefer Stimme meinte Eyes: »Verkauft das Mädchen. Für junge Organe erzielt man höchste Preise.«
    »Ah«, sagte der Albino, »aber du siehst ja nicht, wie hübsch sie ist. Für dich ist sie nur ein Muster von weißen Pünktchen auf einem grauen Kinetoskop, für uns ist sie weiß und rosig und schwarz und –«
    »Eines Tages gehst du zu weit«, sagte der andere gelassen.
    »Bei ihr nicht, da –«
    Unter Harrys Fuß brach ein dürrer Zweig. Alle verstummten und lauschten. Harry zog die Pistole aus dem Halfter.
    »Bist du’s, Ralph?« sagte der Albino.
    »Ja«, zischte Harry und hinkte näher ans Feuer, blieb aber mit dem Kopf im Dunkeln und verdeckte die Pistole mit der Hand.
    »Kannst du dir das vorstellen«, sagte der Albino. »Das Mädchen behauptet, die Tochter des Gouverneurs zu sein.«
    »Das bin ich«, sagte Marna klar und deutlich. »Er wird euch für das, was ihr tun wollt, langsam in Stücke hacken lassen.«
    »Aber ich bin der Gouverneur, Liebste«, erklärte der Albino mit Falsettstimme, »und es ist mir –«
    Eyes fuhr dazwischen. »Das ist nicht Ralph. Sein Bein ist gesund.«
    Harry verfluchte sein Pech. Die Ferngläser dienten auch als Röntgenaugen. – »Lauf!« schrie er in die folgende Stille hinein.
    Sein erster Schuß galt Eyes. Dieser drehte sich gerade um, so daß die Kugel sein Stromaggregat traf. Er begann zu schreien und die Hände in die Ferngläser zu krallen, die ihm als Augen dienten.

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