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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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rotbärtiger Mann, der einen Pleureusenhut trug und eine riesige Hellebarde hielt, lehnte an der Tür des Lokals und rief: »Immer herein in die Gummizelle!« Labude und Fabian traten ein, gaben die Garderobe ab und fanden nach langem Suchen in dem überfüllten, verqualmten Raum an einem Ecktisch Platz.
    Auf der wackligen Bühne machte ein zwecklos vor sich hinlächelndes Mädchen Sprünge. Es handelte sich offenbar um eine Tänzerin. Sie trug ein giftgrünes selbstgeschneidertes Kleid, hielt eine Ranke künstlicher Blumen und warf sich und die Ranke in regelmäßigen Zeitabständen in die Luft. Links von der Bühne saß ein zahnloser Greis an einem verstimmten Klavier und spielte die Ungarische Rhapsodie.
    Ob der Tanz und das Klavierspiel zueinander in Beziehung standen, war nicht ersichtlich. Das Publikum, ausnahmslos elegant gekleidet, trank Wein, unterhielt sich laut und lachte.
    »Fräulein, Sie werden dringend am Telefon verlangt!« schrie ein glatzköpfiger Herr, der mindestens Generaldirektor war. Die Andern lachten noch mehr als vorher. Die Tänzerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fuhr fort zu lächeln und zu springen. Da hörte das Klavierspiel auf. Die Rhapsodie war zu Ende. Das Mädchen auf der Bühne warf dem Klavierspieler einen bösen Blick zu und hüpfte weiter, der Tanz war noch nicht aus.
    »Mutter, dein Kind ruft!« kreischte eine Dame, die ein Monokel trug.
    »Ihr Kind auch«, bemerkte jemand von einem entfernten Tisch.
    Die Dame drehte sich um. »Ich habe keine Kinder.«
    »Da können die aber lachen!« rief man aus dem Hintergrund.
    »Ruhe!« brüllte jemand Andres. Der Wortwechsel hörte auf.
    Das Mädchen tanzte noch immer, obwohl ihr längst die Beine wehtun mußten. Schließlich fand sie selber, es sei genug, landete in einem mißlungenen Knicks, lächelte noch alberner als vorher und breitete die Arme aus. Ein dicker Herr im Smoking stand auf. »Gut, sehr gut! Sie können morgen zum Teppichklopfen kommen!«
    Das Publikum lärmte und klatschte. Das Mädchen knickste wieder und wieder. Da kam ein Mann aus der Kulisse, zog die Tänzerin, die sich heftig sträubte, von der Bühne und trat selber an die Rampe.
    »Bravo, Caligula!« rief eine Dame aus der ersten Tischreihe.
    Caligula, ein rundlicher junger Jude mit Hornbrille, wandte sich an den Herrn, der neben der Ruferin saß. »Ist das Ihre Frau?« fragte er.
    Der Herr nickte.
    »Dann sagen Sie Ihrer Frau, sie soll die Schnauze halten!« sagte Caligula. Man applaudierte. Der Mann in der ersten Tischreihe wurde rot. Seine Frau fühlte sich geschmeichelt.
    »Ruhe, ihr Armleuchter!« rief Caligula und hob die Hände. Es wurde ruhig. »War die Tanzdarbietung nicht geradezu ein Erlebnis?«
    »Jawohl«, brüllten alle.
    »Aber es kommt noch besser. Jetzt schicke ich einen heraus, der Paul Müller heißt. Er ist aus Tolkewitz. Das liegt in Sachsen. Paul Müller spricht sächsisch und gibt vor, Rezitator zu sein. Er ist kein Komiker. Sein Repertoire enthält nur ernste Werke. Er wird Ihnen eine Ballade vortragen. Machen Sie sich auf das Äußerste gefaßt. Paul Müller aus Tolkewitz ist, wenn nicht alles täuscht, verrückt. Ich habe keine Kosten gescheut, diese wertvolle Kraft für mein Kabarett zu gewinnen. Denn ich kann es nicht dulden, daß nur im Zuschauerraum Verrückte sind.«
    »Das geht entschieden zu weit!« rief ein Besucher, dessen Gesicht mit Schmißnarben verziert war. Er war aufgesprungen und zog sich empört das Jackett straff.
    »Hinsetzen!« sagte Caligula und verzog den Mund. »Wissen Sie, was Sie sind? Ein Idiot!«
    Der Akademiker rang nach Luft.
    »Im übrigen«, fuhr der Kabarettinhaber fort, »im übrigen meine ich Idiot nicht in beleidigendem Sinn, sondern als Charakteristikum.«
    Die Leute lachten und klatschten. Der Herr mit den Schmissen und der Empörung wurde von seinen Bekannten auf den Stuhl gezogen und beschwichtigt. Caligula nahm eine Klingel in die Hand, schellte wie ein Nachtwächter und rief: »Paul Müller, erscheine!« Dann verschwand er.
    Aus dem Hintergrund nahte ein langaufgeschossener, ungewöhnlich blasser Mensch in abgerissener Kleidung.
    »Tag, Müller!« brüllte man.
    »Er ist zu schnell gewachsen«, meinte jemand.
    Paul Müller verbeugte sich, zeigte herausfordernden Ernst im Gesicht, fuhr sich durch die Haare und preßte dann die Hände vor die Augen. Er sammelte sich. Plötzlich zog er die Hände vom Gesicht fort, streckte sie weit von sich, spreizte die Finger, riß die Augen rund auf und

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