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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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sagte: »Die Todesfahrt von Paul Müller.« Dann trat er noch einen Schritt vor.
    »Fall nicht runter!« rief die Dame, der von Caligula eigentlich befohlen war, die Schnauze zu halten.
    Paul Müller machte aus Trotz noch ein Schrittchen, blickte verächtlich auf das Publikum da unten und begann wieder: »Die Todesfahrt von Paul Müller.«
    »Das war der Graf von Hohenstein.
    Der sperrte seine Tochter ein.
    Sie liebte einen Offizier.
    Der Vater sprach: ›Du bleibst bei mir!‹«
    In diesem Augenblick warf jemand aus dem Publikum ein Stück Würfelzucker auf die Bühne. Paul Müller bückte sich, steckte den Zucker ein und fuhr mit unheilschwangerer Stimme fort:
    »Da half nur Flucht, und die Komteß
    entfloh in ihrem 10   PS .
    Sie steuerte durch Nacht und Not.
    Doch auf dem Kühler saß der Tod!«
    Wieder warf man Zucker auf die Bühne. Vermutlich saßen Stammgäste in dem Raum, die den Gewohnheiten der Künstler Rechnung trugen. Andere Gäste folgten dem Beispiel, und allmählich kam ein Würfelzuckerbombardement zustande, dem Müller nur dadurch zu begegnen wußte, daß er sich dauernd bückte.
    Es entwickelte sich ein Balladenvortrag mit Kniebeugen. Auch mit aufgerissenem Mund versuchte Müller, den ihm zufliegenden Zucker aufzufangen. Sein Gesicht wurde immer drohender. Seine Stimme klang immer schwärzer. Man entnahm der Rezitation, daß in jener schrecklichen Nacht nicht nur die Komteß Hohenstein Auto fuhr, um zu ihrem Offizier zu gelangen, sondern daß auch der Geliebte in seinem Wagen unterwegs war und sich dem Schloß näherte, wo er das Fräulein vermutete, während sie ihm doch entgegeneilte. Da die zwei Liebenden die gleiche Landstraße benutzten, da es sich ferner um eine ausgesprochen regnerische, neblige Nacht handelte, und da das Gedicht »Todesfahrt« hieß, war mit großer Wahrscheinlichkeit zu befürchten, daß die beiden Autos zusammenstoßen würden. Paul Müller beseitigte auch den leisesten Zweifel hierüber.
    »Mach den Mund zu, sonst fallen dir die Sägespäne aus dem Schädel!« brüllte eine Stimme. Aber das Autounglück war nicht mehr aufzuhalten.
    »Das Auto jenes Offizieres
    kam links gefahren, rechts kam ihres.
    Der Nebel war entsetzlich dick.
    Und so vollzog sich das Geschick.
    Von links ein Schrei,
    von rechts ein Schrei –«
    »Das macht nach Adam Riese zwei!« schrie jemand. Die Leute johlten und klatschten. Sie hatten von Paul Müller genug und waren auf den Ausgang der Tragödie nicht länger neugierig.
    Er deklamierte weiter. Aber man sah nur, daß er den Mund bewegte. Zu hören war nichts, die Todesfahrt ging im Lärm der Überlebenden unter. Da packte den dürren Balladendichter die blasse Wut. Er sprang vom Podium und rüttelte eine Dame derartig an den Schultern, daß ihr die Zigarette aus dem Mund und in den blauseidenen Schoß fiel. Sie sprang schreiend auf. Ihr Begleiter erhob sich ebenfalls und schimpfte. Es klang, als belle ein Hund. Paul Müller gab dem Kavalier einen Stoß, daß er in den Stuhl zurücktaumelte.
    Da tauchte Caligula auf. Er war wütend und glich einem knirschenden Tierbändiger, zog den Mann aus Tolkewitz an der Krawatte und führte ihn ins Künstlerzimmer.
    »Pfui Teufel«, sagte Labude, »unten Sadisten und oben Verrückte.«
    »Dieser Sport ist international«, meinte Fabian, »in Paris gibt es dieselbe Sache. Dort schreien die Zuschauer: ›Tue-le!‹ und dann schiebt sich eine riesengroße hölzerne Hand aus der Kulisse und schaufelt den Ärmsten aus dem Gesichtskreis. Er wird weggefegt.«
    »Caligula nennt sich der Bursche. Er kennt sich aus. Sogar in der römischen Geschichte.« Labude stand auf und ging. Er hatte genug. Auch Fabian erhob sich. Da schlug ihn jemand derb auf die Schulter. Er drehte sich um. Der Mann mit den Schmissen stand vor ihm, strahlte über das ganze Gesicht und rief vergnügt: »Alter Junge, wie geht’s dir denn?«
    »Danke, gut.«
    »Nein, wie ich mich freue, dich altes Haus mal wiederzusehen!« Der Akademiker gab Fabian einen Freudenstoß vor den Brustkasten, genau auf einen der Hemdknöpfe.
    »Kommen Sie«, meinte Fabian, »prügeln wir uns draußen weiter!« Dann drängte er sich, zwischen Stühlen hindurch, in den Vorraum. »Mein Lieber«, sagte er zu Labude, der sich den Mantel anzog, »wir wollen schnell machen. Eben hat mich einer ununterbrochen geduzt.« Sie nahmen die Hüte. Aber es war schon zu spät.
    Der Mann mit den Schmissen schob eine sommersprossige Frau vor sich her, als könne sie nicht allein

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