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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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bloß: »Der wahre Kommunist steht am Ende immer allein da.« Rose hatte diese Maxime nicht erläutert. Sie stand für sich. Tommy ließ den Stift in der Tasche stecken, denn er konnte sich keine Sekunde lang auch nur wünschen, diese Worte zu singen, sie schriftlich zu gestalten oder wie die anderen durchzustreichen. In Tommy Gogans Notizheft gab es kein zweites Album.



Als erstes war da immer die unerträgliche Selbstproduktion: Ciceros Rückkehr an den Tatort. Der Seminarraum – brillierst du dort zu sehr, wirst du eingekerkert, wirst auf Lebenszeit in die Ecke deiner akademischen Gewohnheiten gemalt. Wer nichts als lehren kann, lehrt. Cicero holte sie gern morgens aus dem Bett, legte los und hatte »Ekel und Nähe« deshalb auf das allgemein verhasste Zeitfenster ab 9.00 gelegt. Er war zum Connaisseur ihrer Morgengerüche geworden, ungeduschte Körper, die noch in der Kleidung des Vorabends steckten. Cicero mischte sich gern in das, was andernfalls die typischen Katerträume der Studenten am Baginstock College waren, und lieferte ihnen jede Menge Gründe, ihn auf RateYourProfessor.com zu schlachten, ohne groß nach esoterischen Gründen suchen zu müssen. Er setzt seine Seminare früher an als jeder andere und beschimpft uns dann, weil wir müde sind. Das machte sie viel aufnahmefähiger, als ihnen bewusst war, verschlafene Hassende, die am Mast ihrer Starbucks-Becher ausgepeitscht wurden.
    »Guten Morgen allerseits. Ich glaube, jetzt sind alle da, die es heute herschaffen werden, also dann wollen wir mal. Ich möchte die heutige Sitzung für mich beanspruchen, aber widmen wir uns vorher doch mal voll Stoff dem Lehrstoff. Ich weiß, dass Mr. Seligmann in den Startlöchern steht – richtig? gut –, um den Aufsatz aus dem Journal of Personality and Social Psychology zu referieren, der zusammen mit den Kapiteln von Aurel Kolnai und Hilton Als Lektürestoff für die heutige Sitzung war. Mit der Vorbereitung der Texte können Sie hoffentlich alle mithalten? In meiner Mußestunde vor Seminarbeginn eben habich mich auf dem Blog umgesehen und nicht den kleinsten Scheiß zu Kolnai oder Als gefunden.« Das rief ein Kräuseln sinnfreier Äußerungen, leises Stöhnen und unterdrücktes Kichern hervor. »Blättern wir die Seiten nicht um, oder gibt es andere Probleme? Ist uns der Stoff zu schwer? Es ist noch zu früh im Semester, um mühelos zur Ziellinie zu spazieren.«
    »Teilweise ist es schwierig«, sagte Yasmin Durant, die zu Ciceros Lieblingsfrechdachsen gehörte, eine Wiederholungstäterin. Sprang für das bettschwere Team in die Bresche, was jedoch nur eine Beigabe ihrer tieferen Strategie war, sich als Ciceros Echo und Schwester zu positionieren, seine Call-and-Response-Partnerin im Seminarraum. Yasmin hatte sich selbst für die Nachfolge nominiert und kultivierte schon eigene kleine Ziegenhornknubbel, Dreadlocks, die Raum zu erobern drohten.
    »Also, wahrscheinlich verstehen Sie mehr, als Ihnen klar ist. Bleiben Sie dran, und wir lösen das gemeinsam. Je mehr Reaktionen Sie ausformulieren, desto höher wird Ihre Bodenhaftung im Text. Herrschaften, es ist doch nur ein Blog. Sie werden nicht für Ihr Ausdrucksvermögen benotet, es ist mir egal, ob Sie in Form von Smileys oder Harry-Potter-Sinnsprüchen kommentieren, in Muggelsprache oder sonstwas, aber hinterlassen Sie doch bitte ein paar Beweise Ihrer Beschäftigung mit dem Thema. Hinterlassen Sie Ihre Fußabdrücke.« Die Septembersonne brach sich in den Baumwipfeln hinter den hohen Fenstern auf der anderen Seite des Seminarraums, fiel auf den großen Kastanienholztisch und bestrafte die Studierenden, die sich auf die falsche Seite gesetzt hatten. Der Einfallswinkel hatte sich geändert. Die Hitze des Vortags war über Nacht abgeflaut, wie die Flut kam vom Meer eine Brise herein, und wo die kühlsten Luftzüge über die Eichen strichen, bedeckte diese ein unwiderrufliches Gelb, das Treiben von Maine zu dieser Jahreszeit. Womöglich waren es nur noch wenige Wochen, in denen Cicero so angenehm schwimmen gehen konnte. Danach musste er zum unangenehmen Schwimmen übergehen. Es war Teil seiner Stelle hier geworden, den unauslöschlichen Schandfleck amneuenglischen Horizont zu bilden. Im Seminarraum musste Cicero Pädagogik entfalten und einmal die Woche etwas veranstalten. An den anderen Tagen lehrte er durch bloßes Existieren.
    Im Seminarraum eine Verpflichtung. Oder sogar eine Schwangerschaft. Cicero hatte hier jedes Mal etwas auf die Welt zu bringen. Ein

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