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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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sagten ihm zwar nicht mehr viel, aber die Spieler erinnerten immer mehr an Ciceros rotwangige Studenten, und Cicero gehörte von Geburt an und unauflöslich zur Fangemeinde. Inzwischen war es vielleicht nur noch eine Frage der Farben, der kalligraphierte Schriftzug mit dem Schlagschatten, die Skyline auf dem Logo – der Wäscherei die Daumen drücken, hatte mal einer gesagt. Auch wenn ihn der Sog chauvinistischer Stammeszugehörigkeiten in der menschlichen Psyche ebenso kalt ließ wie der Ivy-League-Narzissmus der Akademiker, durchdrungen von Deleuzes und Guattaris Konzepten hegemonialer Dominanz, konnte sich Cicero doch jederzeit klein machen, wenn er über die eigene irrationale lebenslange Zugehörigkeit zu den Mets nachdachte. Man konnte eine Spur faschistischer Empfänglichkeit darin entdecken, wie Cicero an jedem Sommerabend gegen den Schlaf ankämpfte und wie sein Blut in Wallung geriet, wenn er Männer in denselben Orange- und Blautönen triumphieren sah, die schon Tom Seavers Lenden umhüllt hatten. Reine Leni Riefenstahl, gesund und munter auf DirecTV. Trotzdem schlief er meistens ungefähr beim siebten Inning ein.
    Als Sergius zurückkam und auf den Schlafenden stieß, knurrte Cicero nur und schleppte sich nach oben. Wahrscheinlich der falscheAbend, um einen Blick auf die Mets zu werfen – ob das Rose heraufbeschworen hatte? Dafür gab es zu viele Gründe, als dass er sie den Mets anlasten müsste. Er wachte unter einer verknäulten Bettdecke auf, schwitzte trotz der Klimaanlage, beide Arme waren unter dem Körper eingeschlafen und prickelten jetzt durch den unzulänglichen Blutkreislauf, fremde Bettgefährten. Er musste sich auf die Seite wälzen, um sie freizubekommen, und dann in die Hände klatschen, um sie soweit aus ihrer Taubheit aufzurütteln, dass er sich danach Handgelenke und Unterarme ins Leben zurückmassieren konnte. Es war noch nicht mal sechs, das erste Licht des Septembertags ließ den Rasen gerade ein bisschen glitzern, wo er sich zum Meeresufer neigte. Eine Ricke und ihr Kitz schlichen durchs Bild, das sich vor dem Fenster bot, leichtfüßig und sicher lautlos, auch wenn es nicht vom Rödeln der Klimaanlage übertönt würde.
    Cicero zog sich an und verließ das Haus, ohne erst nachzuschauen, ob sich Sergius im Gästezimmer schon regte, legte ihm nur einen Zettel auf den Küchentresen, der seinem Hausgast vorschlug, um neun an seinem Seminar teilzunehmen, falls er rechtzeitig aufwachte, und ihm den Weg beschrieb. Auf der Fahrt zur Drury Hall begegnete Cicero auf den Campus-Straßen weiteren Rehen, die die kühle Morgendämmerung aus den Wäldern des Altweibersommers aufgestört hatte, jedes so schlank wie eine Scheibe Toast. Zeichen und Omen oder Symptom der globalen Erwärmung? Er überfuhr sie jedenfalls nicht mit dem Wagen. Cicero kam noch vor der Sekretärin an und durfte dem Institut Kaffee kochen, bevor er sich in seinem Büro verschanzen konnte. Dort stellte er sein professorales Gebaren mit Koffein und weiteren fünfzig Seiten Musil wieder her und beschäftigte sich nicht weiter mit seinen Nachtgästen, weder dem leibhaftigen noch dem anderen. Er überflog die Texte für die Seminarsitzung und wählte die Abschnitte aus »Der Ekel« aus. Kontrollierte den Seminar-Blog und grummelte enttäuscht über das, was dort fehlte.
    Nachdem er jetzt mit Mutter herausgeplatzt war, begriff Cicero, dass er eine Bringschuld hatte, auch wenn er nicht recht wusste, worin siebestehen mochte. Das war er Rose schuldig, seiner mitternächtlichen Triebkraft. Sie verlangte nach Anfechtung. Aber Cicero musste behutsam vorgehen. Sergius Gogan wirkte nur harmlos. Indem der unverlorene Sohn hier in Cumbow aufgetaucht war, hatte er den Käfig wütender Langeweile geschüttelt, in dem Cicero im Kreis lief. Außer Sergius und Cicero sowie Roses Phantom in Ciceros Kopf waren hier aber noch andere im Raum: seine Schützlinge, seine Mündel. In loco parentis und der ganze Rattenschwanz. Ciceros Aufgabe war die einer Neutronenbombe: Zerstör sie, aber lass sie stehen.
    »Es gibt da eine Passage in Doris Lessings Die viertorige Stadt, ich hätte das Buch mitbringen sollen, die läuft darauf hinaus, dass die Figur, die nicht Doris Lessing ist oder vielleicht doch, das spielt keine Rolle, sie ist jedenfalls genau wie die Autorin eine Exkommunistin – sie sagt also, das Problem mit allen utopischen Ideologien ist, dass sie den Kampf gegen die Tyrannei der bürgerlichen Familie aufnehmen, der von vornherein

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