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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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eine nuancierte Variante vor, bei der der Kritiker gekidnappt und mit der Hure seiner Lieblingsphantasien aus Spanish Harlem in denselben Raum gesperrt werden sollte.
    Als Tommy nach ihrer Sauftour ausgenüchtert war, sagte Warren Rokeach, er solle die Sache vergessen. Wieder an die Arbeit gehen. Ein Jahr darauf war ihm beides nicht gelungen. Tommy konnte lange Passagen aus der Kritik, die sein Album gekillt hatte, auswendig aufsagen, aber er schaffte es nicht, aus diesen oder anderen Worten einen Song zu machen. Als er jetzt ins Hotel zurückkehrte und seiner vierten und vorletzten ergebnislosen Übungsnacht entgegensah, konnte er einfach nicht in sein schäbiges Zimmer und zu der Gitarre zurückgehen, die er an diesem Tag noch nicht angefasst hatte.
    Im riesigen Hotelfoyer setzte er sich auf ein Zweiersofa, verschlang seine Knisch und wischte die fettigen Hände am Sofakissen ab. Dann steckte er sich eine Zigarette an und wollte eine Weile Hoteldetektiv spielen, das Kommen und Gehen der disparaten Bewohner des Chelsea verfolgen. Auf der Treppe der geziemend kahl werdende Brite, der sich im Flur vorgestellt und Tommy zugestottert hatte, er schreibe»Space Fiction«, als müsse er sich gegen ein Missverständnis zur Wehr setzen. An der Rezeption das dem Vernehmen nach exilierte Warhol-Mädchen, das seine Post verlangte, die die Hotelverwaltung wegen der unbezahlten Hotelrechnung nicht aushändigte. Falls es ein Mädchen war. Dafür gab es keine Garantie. In der Ecke am Foyerfenster zur Straße zwei mit Beatles-Frisuren, nächtlichen Sonnenbrillen und gelangweiltem Grinsen, den Koffer einer E-Gitarre und einen kleinen Verstärker neben sich auf dem Boden. Tommy fand, sie konnten die Stones oder die Animals oder sonst eine von der Nacht überraschte Subspezies der Beatles sein. Neben der Telefonzelle im Foyer, deren Nummer er wahrscheinlich einem nicht anrufenden Anrufer durchgegeben hatte, der dauersesshafte Lyriker mit dem Auftreten eines Taschendiebs. Tommy hatte das entgegengesetzte Problem: eine Telefonnummer in der Tasche, die er nicht anrief aus Angst heraus, es würde niemand abheben.
    Miriam hatte die Gelegenheit genutzt und war zur Planungsklausur von Friedensdemonstranten gefahren, einer Party im Wald irgendwo im Norden bei Kerhonkson. Er wäre gern mitgefahren – es war ja nicht so, dass er der Friedensbewegung nichts zu geben hatte. Miriam, die Nase immer im Wind dissidierender Bewegungen, hatte Tommys Stimme und Gitarre Anfang des Frühjahrs bei studentischen Teachins am City College und der New School und dem Queens College, also all ihren fiktiven Studienorten, angemeldet. Als der Marsch auf Washington im April stattfand, hatte Tommy sogar ein paar Songs dafür geschrieben. »Sunrise Village«, »McGeorge Bundy, Not Me« und »A Student Movement Can Derail This Train« waren für keine LP gedacht und wurden auch am Mikrophon im April in Washington nicht zu Gehör gebracht, wo Tommy sowieso nicht um Mitwirkung gebeten worden war. Mit ihren schlichten Refrains und Akkorden waren sie eher für Leute gedacht, die im Kreis saßen, für das Unterrichten von Jungen mit schlecht gestimmten Gitarren und noch weniger Talent, für das Anfachen lokaler Solidarität. Tommy hatte sein Instrument gar nicht erst nach Washington mitgenommen, sondernwar mit Miriam in den erstaunlichen Menschenmengen mitgelaufen, ein Körper unter Millionen, und um sie herum spross die Bewegung.
    Miriam kannte an jenem Tag alle Welt oder hatte sie jedenfalls kennengelernt, bevor sie mit dem Bus zurückfuhren. Sie schloss Busenfreundschaften mit einem Tempo, von dem Tommy schwindlig wurde. In den ersten Jahren hatte es ihn Mühe gekostet zu verstehen, dass Miriam ihre neuen Freunde nicht vögelte, sie auch nicht vögeln wollte, ob nun Mann oder Frau. Viel schwieriger war es dann zu akzeptieren, dass Miriam ihr Leben mit Gefolgsleuten bevölkern wollte, die sie ebenso bewunderten, wie er sie bewundert hatte, was er ja schlecht verbieten konnte. Im Vergleich zu ihrer Fähigkeit, mit anderen Menschen intime Vertrautheit herzustellen, sah Tommys Gabe blass aus. Miriam spielte höhere Musik und immer seltener in seine Richtung. Mustergültig in Zuneigung und Unterstützung, ausgelassen und umgänglich im Bett, hatte sie ihm das jüdische Feuer etwas entzogen, mit dem sie ihn anfangs so überreichlich eingedeckt hatte. Tommys Gitarre blieb eine Barrikade, die er nie überwinden konnte, eine unnötige Verzierung der normalen Rede, mit der

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