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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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Miriam mit jedermann Gemeinschaft herstellen konnte: Teenagern, Schwarzen, misstrauischen Cops, dem Angestellten mit Cowboyhut an der Tankstelle, an der sie vor fünf langen Tagen bei Kerhonkson vom Highway abgebogen waren.
    Als vollendete New Yorkerin hatte sie keinen Führerschein und wollte auch keinen machen. Einen Tag, bevor er ins Chelsea gezogen war, hatte Tommy sie zu der Klausur chauffiert, im Sommerregen, und die Highwaykarten zerknitterten in ihrem Schoß. Als sie Kerhonkson endlich erreichten, stellte sich heraus, dass das im irritierenderweise so heißenden Ulster County lag. Als wäre er überhaupt nie weggegangen, hätte die geheimnisvolle Jüdin nur in den Opel seines Vaters gezaubert und mit ihr zusammen aus dem grauen Belfast eine jugendliche Fahrt ins Blaue unternommen. Auch wenn er am Steuer saß, fühlte er sich neben ihr wie ein Teenager. Warum nahm er nicht mit ihr an der Klausur teil? Aber Warren Rokeach hatte ihm großzügig das Zimmer im Chelsea spendiert; Warren Rokeach hatte die Kassette mit den unausgegorenenTeach-in-Songs zurückgewiesen; Warren Rokeach hatte gesagt, es wäre Zeit, dass Tommy ein Liebeslied schrieb, einen Song der Erinnerung, etwas »Sinnliches«, etwas »Filmisches«, das »groovy« war.
    Also hatte Tommy sie aussteigen lassen. Er trug ihr das Gepäck zum Eingang, wo sie von den Gastgebern begrüßt wurde. Das Zentrum wurde von liebenswürdigen Quäkern geleitet, die, wie Tommy annahm, keine Ahnung hatten, welch ein Wirbelsturm ihnen da bevorstand und welches Ausmaß an Haschischschwaden sie unfreiwillig inhalieren würden. Sie hatte ihr Gepäck genommen, ihm einen Kuss gegeben und viel Glück gewünscht, und er war in die feuchtschwülen Gnaden der Halbinsel im August zurückgekehrt, ins Hotel, von dessen Rezeption aus er sie inzwischen vier Abende in Folge angerufen und ihr Nachrichten hinterlassen hatte, weil er nie jemanden gesprochen hatte, der imstande gewesen wäre, sie ausfindig zu machen, obwohl alle, die er sprach, groovy waren, sie waren filmisch, ja in ihrer Bereitschaft, seine Nachrichten weiterzugeben, waren sie sogar sinnlich.
    Heute Abend konnte er sie nicht anrufen, gedankt sei dem Grabeslyriker, der als Emblem der Nutzlosigkeit des Münztelefons Wache stand. Das Münztelefon war nurmehr eine Einrichtung, um die Einsamkeit des Menschen zu verspotten.
    Zweifellos war in Kerhonkson Leben in der Bude. Im Gegensatz zu dieser Klimbimbohème. Was einen Foyerdetektiv anging, schienen die hier versammelten grämlichen Exemplare der Gattung Mensch erschreckend unbedrohlich. Das Chelsea sollte zwar ein Treibhaus der Kreativität sein, fühlte sich aber eher wie ein flüchtiger Durchgangsort an, wo zahlungsunfähige Möchtegerns an den Strand gespült oder wie Tommy von ihren Agenten hinbeordert wurden. Tommy fragte sich, wieviele gescheiterte Sänger da oben noch eingesargt sein mochten. Er sollte eine Tour durch die oberen Stockwerke machen und Aussagen auf Band aufnehmen. Sein zweites Soloalbum würde dann Chelsea der bald Vergessenen heißen. Oder Chelsea der Unerinnerbaren: Ein Flennzyklus. Tommy sah langsam ein, dass sein Talent eine Ladung Ziegelsteine war, die ihn erschöpfte, weil er sie nie absetzen durfte.
    Die Muse reinster Prosa hatte ihn geküsst.
    Der Mann an der Rezeption, der die Verhandlungen mit dem Factory-Mädchen satt hatte, schaltete ein Transistorradio an, um sie zu übertönen. »Mr. Tambourine Mann«. Der unausweichliche Nummer-Eins-Song des Sommers war kürzlich von Dylans eigener unter Strom gesetzter Giftigkeit überholt worden. Die Byrds, auch so ein Beatles-Imitat, klopften die Welt weich für Bobbys Schimpfkanonaden. Dylans psychedelische Schlappheit galt jetzt als reiner Wahnsinn, anscheinend auch für Teenager, die im ganzen Leben noch keinen anständigen Folksong gehört hatten. Tommys Schlappheit erstaunte nur ihn selbst und auch ihn nicht sehr.
    Seit zwei Wochen dudelte jedes einzelne Radio in Greenwich Village nichts als Dylan, aus weit aufgerissenen Wohnzimmerfenstern, als wollte man die letzten Sauerstoffatome von den erstickenden Gehwegen absaugen, ein quecksilbriger und seekranker Sound, dessen höhnische Frage jedem einsamen Menschen wenigstens sich selbst gegenüber Rechenschaft abverlangte: How does it feel? Tommy nahm an, dass Bobby in diesem Fall auch keine Ahnung hatte, denn anders als Tommy war Dylan nie verheiratet gewesen und hatte nie miterleben müssen, wie sich die Aufmerksamkeit seiner Frau von ihm abwandte.

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