Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Gedränge an der MacDougal oder am St. Marks Place zum Trotzwaren alle Leute in ihrem Gesichtsfeld ebensolche Versager wie sie selbst.
»In den Vereinigten Staaten hat er Einreiseverbot«, sagte Miriam, selber überrascht von der Wende der Dinge, aber dann merkte sie, dass es so lief wie bei praktisch allem, was sie in diesen Kreisen sagte: Man war entzückt und gespannt darauf, was das wilde Kind aus Sunnyside wohl als nächstes sagen würde. Ihre schonungslose Ehrlichkeit wurde vom männlichen Ego von Anfang an als verrücktes Flirten aufgefasst. Wenn Miriam beispielsweise sagte, Jazz langweile sie (während alle anderen vor dessen Längen in die Knie gingen, erzeugten die berühmten »Soli« in ihr nur dieselbe Klaustrophobie, die sie auch verspürte, wenn sie zum Schweigen verurteilt vor Roses Beethoven-Symphonien saß und über deren erbarmungslos fatalen Tiefsinn belehrt wurde), und sie höre lieber Elvis Presley (im letzten Trimester des Abschlussjahrs an der Sunnyside High war es ihre Rettung gewesen, die Schule zu schwänzen, sich in Lorna Himmelfarbs Keller zu verstecken und Presley zu hören und zu sehen), waren Männer wie Porter immer ganz verzückt, dass eine Frau sie provozieren wollte und ihnen ihre zugegebenermaßen selbstgefälligen Ansichten zu Allem und Jedem aus der Nase zog, und es wollte ihnen nie in den Kopf, wie eine Frau, mit der sie gingen, und erst recht diese rabenhaarige Jüdin mit dem Wortschatz eines Literaturprofessors bloß einen solchen Hinterwäldlergeschmack haben konnte. Niemand, der wirklich nicht auf Jazz stand, hätte das je zugegeben! Und wenn man darauf stand, Mann, dann stand man eben darauf. Miriam war also ein Scherzbold, die höchste Ironikerin. Und hatte Kurven.
»Sie meint das todernst«, sagte Porter jetzt, fingerte wie Arthur Miller an seiner Brille herum und versiegelte Miriams Worte wieder in seiner Nur-ich-verstehe-das-Billigung.
Miriams ursprünglicher Begleiter spielte missmutig mit dem roten Wachs herum, das am Fuß ihrer stumpfen Tischkerze eine Pfütze bildete, tunkte die Fingerspitzen hinein und überzog sie mit einer Wachsschicht. Dann zog er die spiegelverkehrten Fingerabdrücke ab,so dass sie auf dem Tischtuch eine Reihe von Mäuseschälchen oder winzige blutige Fußabdrücke bildeten, einen Pseudotatort. Vielleicht wollte er damit sagen, jemand hätte ihm einen winzigen Dolch ins winzige Herz gestoßen. Und tatsächlich hatte Rye Gogans Gewitteraufmerksamkeit die barometrischen Druckverhältnisse an ihrem Tisch und vielleicht im ganzen Raum über den Haufen geworfen. Während der Folksänger unter vereinzeltem Applaus seine Gitarre beisetzte, wartete schon ein Lyriker oder Komiker, ein Möchtegern-Lenny-Bruce, darauf, das völlig unnötige Mikrophon zu übernehmen. Er trug eine Krawatte und umklammerte ein Papierbündel, was schon mal ein schlechtes Zeichen war. Jemand kannte ihn. Aber irgendwer kannte immer jeden. Miriam glaubte, sie könnte einen oder mehrere ihrer Verehrer, vielleicht sogar Porter, auf die Beine und nach draußen bringen, und plötzlich wollte sie sich genau das beweisen.
»Was soll’s. Ich bring uns bei Mailers Party rein.«
»Wie denn?«
»Na, mit meinen geheimen Kommiekräften natürlich.«
Eine Stunde später trotzten sie kaltem Wind auf der sanften Kuppe des aus verrottenden Holzbohlen bestehenden Gehwegs über die Brooklyn Bridge, die Promenade des East River, übersahen das Transistorenfunkeln der Insel, die sie hinter sich gelassen hatten, und stellten es den schwelenden niedrigen Dächern von Brooklyn Heights gegenüber, der Dunkelheit ihres verheißenen Ziels, Mailers Party, irgendwo da unten, eines der schwach flackernden Fenster unter einer Million dunkler Schlafzimmer, das Meer der Schlafenden jenseits der Brücke. Hier hielten sie an und starrten. Bezirksphobie. Angst vor Brooklyn. Miriam erkannte sie in ihren Bekannten und lachte, aber nur insgeheim, wollte ihrem undenkwürdigen Jungen nicht das nächste automatische, bedrohte »Was denn?« entlocken.
Miriam merkte es ihnen an, dieser Schar, die sie geformt hatte, indem sie sie aus dem Folk-Keller trieb: ihren kollektiven Widerstand dagegen, an diese Schwelle geschleppt zu werden, das Perihel der Brücke, das Immigrantenufer. Freiheitsstatue, Ellis Island, das Meer.Wenigstens einen Augenblick lang hatte diese siebzehnjährige Aussteigerin aus dem ersten Studienjahr am Queens College sie gezwungen, Farbe zu bekennen. Das Barnard-Mädchen als Adams Date, Adam
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