Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
zurück.«
»Wir kommen mit«, sagte Adam, dessen Unerschütterlichkeit einer geflüsterten Besprechung mit seinem ängstlichen Mädchen zum Opfer gefallen sein mochte. Das plötzliche Desertieren besiegelte Miriams Übergabe absoluter, als sie beabsichtigt hatte: Nach hastigen Umarmungen latschten Porter und sie Richtung Brooklyn die Brücke runter, nur sie beide, während die anderen nach Manhattan zurückgingen. Miriam nahm ihren neuen Höfling jetzt erst so richtig in Augenschein: Mit seinen komischen Knubbelknien, den verlegenen oder melancholischen Schultern und der riesigen Stirn war er tatsächlich nach der Schablone von Arthur Miller oder Robert Lowell gezeichnet, auch wenn seine bemühten Witzeleien eher an Mort Sahl erinnerten. Die anzügliche Rose hätte ihm im rechten Augenblick vielleicht eine Chance gegeben, weil er entfernt an Abraham Lincoln erinnerte. Aber brauchte Miriam vielleicht die Genehmigung ihrer Mutter? Sie ließ den Gedanken fallen.
»Schau«, sagte sie und deutete wieder mit der Zigarette über das Gefälle der Brücke hinweg nach Brooklyn Heights. »Die Remsen Street, das ist eine von denen da, mündet in die Promenade.« In ihrer Phantasie tauchten die glanzvollen Stadthäuser auf, eine Häuserzeile mit Blick über den Fluss auf Manhattan, und eines davon würde sich durch Jazz, Cocktailklirren, Marihuanaschwaden und geistreiche Konversation zu erkennen geben. In Wahrheit war dort aber nur ein dunkler Pflanzenwall zu sehen, dem Anschein nach zwei Kilometer weit weg noch jenseits der Mündung des stillen Flusses.
»Welche Hausnummer?« Porters Interesse war geweckt, und er klangnervös, als hätte Miriam die Adresse und vielleicht auch eine gravierte Einladung in der Tasche.
»Das ist in der Straße nicht zu übersehen, ich nehm mal an, dass wir es schon aus einem Block Entfernung hören.«
»Wenn nicht, lohnt es auch nicht hinzugehen«, sagte er blasiert und wurde wieder zuversichtlicher. Die Blasiertheit trug sie auf dem Brückengefälle jedoch nur wenige Schritt weit. Porters Zuversicht galt jetzt, wo sie sich von ihren Begleitern getrennt hatten, etwas anderem. Erst wenn man sie losgeworden war, diesen paarverhüllenden Pöbel, diese Kokons aus Anstandswauwaus, die überall zusammenklumpten, wurde einem ihre Funktion klar. Porter küsste sie. Miriam erwiderte den Kuss ungestüm, auch wenn sie dabei eine Strategie entwarf, wie sie ihn hinauszögern oder aber ungeschehen machen konnte, oder wo sie hingehen konnten, oder was er zu bedeuten hatte. Jede persönliche Möglichkeit, die nicht in eine unvorstellbare Zukunft verschoben wurde, war gegenwärtig und dringlich, ein Unheil, das alle Ruhe fortspülte. Ein ausgeglichenes Dazwischen hatte Miriam noch nie ausmachen können. Porters kalte Fingerspitzen fanden schon Lücken zwischen den Knöpfen am Steißbein ihres altmodischen Kleids, und ein Stromstoß durchzuckte sie von den Pobacken bis in die Füße, die in den Brückenbohlen verwurzelt zu bleiben versuchten. Porter war groß. Miriam stellte sich auf die Zehenspitzen, ein fauler Kompromiss zwischen den Impulsen, ohnmächtig in die Knie zu gehen oder in den Himmel abzuheben.
In genau demselben Maße, in dem sie mit Enttäuschung verhätschelt worden war, mit verbitterter Mäßigung, dem Ersticken ungebührlicher Erwartungen, dem Zynismus der zweiten Generation, was kollabierte Visionen einer leuchtenden Zukunft anging, der mürrischen Abgeklärtheit der Vorstädte, war Miriam eine Bolschewistin der fünf Sinne. Mit allen Fasern ihres Körpers verlangte es sie nach der Revolution und leuchtenden Städten, in denen die Revolution ausgelebt werden konnte, ihre ganze Persönlichkeit schrie danach, hohe Türme erbaut und zerstört zu sehen. Miriam verzehrte sich doppeltvor jeder Sehnsucht, die gestillt zu sehen Rose nur je gewünscht haben konnte. Rose mochte noch so viele Utopien zermalmt haben, noch so sehr darauf beharrt haben, »den Tatsachen ins Auge zu sehen« – immer hatte sie nur Miriams angeborenen Argwohn genährt, das Leben sei anderswo. Herrgott noch mal, man sah das Empire State Building doch am Fuß der Greenpoint Avenue gerahmt! Und dem Gefühl nach waren es zehn Jahre, in denen Miriam das besondere Aussehen und Auftreten der am City College eingeschriebenen Mädchen aufgesogen hatte, die noch zu Hause wohnten oder zu Hause in Sunnyside Gardens zumindest noch Zimmer hatten. Das Wissen hinter ihren neuen Katzensonnenbrillen, den heimlich weitergegebenen Zigaretten
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