Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
und der Klatsch und Tratsch auf den Veranden, der verstummte, wenn die neun-, zehn- oder zwölfjährige Miriam des Weges kam. Miriam wusste, dass diese Mädchen ihre Zukunft verkörperten, und fragte sich, warum sie sich solche Mühe gaben, sie zu verbergen. Sie ließ sich nicht verbergen. Auch jetzt konnte Miriam hinter Porters Schulter das Empire State Building sehen, als sie den Mund von seinem löste, nach Luft schnappte und auf Zeit spielte, ihre Wange an seinem Arm. Das dämlich lockende Phallussymbol, schamlos benannt nach dem verbrecherischen Traum der Nation, schloss paradoxerweise gleichzeitig den Stolz ein, den Rose Miriam anerzogen hatte: den Stolz, eine Amerikanerin und eine New Yorkerin zu sein. Das stumpfsinnig verblüffende Monument war immer da, durchstach die Luft, rief sie an und zerdrückte sie vorab wie einen Käfer. Du bist niemand besonderes, Miriam Zimmer!
Nur hatte Miriam hier oben auf der Brücke, die Oberlippe von Porters Bartstoppeln im starken Wind schon wundgescheuert, das Gefühl, die niemand Besonderem erteilte Freiheit wäre eine Gewalt, die der Masse und der Macht des Empire State Building gleichkäme. Hatte irgendjemand jemals gewusst, was Miriam mit siebzehn wusste? Es schien unwahrscheinlich. Und heute Nacht würde sie mehr erfahren. Sie würde Porter erlauben, als Erster mit ihr zu schlafen, weil er dafür gerade besonders und unbesonders genug war. Die Nacht, die aufder Brücke begann , wie sie sie in Gedanken schon halb nannte, konnte plötzlich genug anbrechen, um keine Geschichte zu sein, die sie anderen zu verdanken hatte. Sie würde auch die Schulden bei Undenkwürdig tilgen, wenn der einen Korb erhalten hatte zugunsten einer Bedeutung in ihrem Leben, die schwerer wog als der Unterschied zwischen zwei Männern. Nicht dass der ausrangierte Verehrer je erfahren würde, dass es in Miriams Kopf eine Buchführung über Schuldgefühle gab. »Bring mich irgendwohin«, sagte sie.
Mit diesen Worten, zu denen Porter seine dankbare Zustimmung stöhnte, fing die Wahnsinnsnacht an, die schon so viele Anfänge gehabt hatte. Zunächst der Rückzug nach Manhattan, nicht aus Bezirksphobie (was ihr finales Ziel bestätigen sollte), sondern aus völligem Desinteresse an Mailer oder den dunklen Dächern oder dem kalten Himmel oder irgendetwas anderem außerhalb ihrer selbst und ihrer beider Haut. Hätten sie ihre Kleidung auf der Brücke zurücklassen können, hätten sie das vielleicht gemacht. Der IRT-Zug brachte sie von der City Hall zum Union Square, wo sie in einer Nische in der Cedar Tavern ihre Zungen verknoteten und schmusten, bis sie aufgefordert wurden zu gehen. Sie wiederholten die Vorstellung im Limelight-Café, wo Miriam, ganz außer sich, Porter hingeschleppt hatte, nachdem dieser benommen seine Ratlosigkeit kundgetan hatte, wo sie noch hingehen konnten – in einer Ecke von Mailers Party wären sie ungestörter gewesen, und inzwischen malten sie sich aus, wie heißblütige Bennington-Mädchen dort auf Mantelhaufen seriell defloriert wurden. Selbst auf dem Washington Square waren sie ungestörter, wo sie sich zur nächsten turbulenten Knutschpartie auf eine Bank setzten. Aber inzwischen fror Miriam, sobald sie stehenblieben, und Porters Hände tasteten sich wieder heran, um ihre eh schon dünnen Hüllen weiter abzuschälen. Sie spürte tatsächlich eine Brise, wo ihr Po und die Innenseiten ihrer Schenkel von der Leidenschaft ihres Körpers feucht geworden waren. »Warum können wir nicht zu dir gehen?«, flüsterte sie.
Porter sah sie an, und in seinem Blick lag wie schon zuvor eine Bewunderung,die Miriam für sturmhöhenwahnsinnig hielt. »Die Wohnheimordnung ist sehr streng.«
»Ich dachte, ihr Männer von der Columbia wolltet das ändern.«
»Trilling hat sich gegen uns gestellt«, prahlte Porter, der jedes Mal stolz war, wenn er den Namen seines Professors anbringen konnte. »Er schien verwirrt, dass wir uns überhaupt wünschen konnten, dass Frauen in den Wohnheimen ihre Strümpfe herumliegen lassen, wie er es formulierte –«
»Und warum habt ihr euch dagegen nicht zur Wehr gesetzt?« Schamlos ließ Miriam ihm die Marilyn-Monroe-Behandlung angedeihen, Lippen an seinem Ohr. »Geht für euer Anliegen auf die Barrikaden.«
»Mein Zimmergenosse«, sagte Porter hilf los. »Ich kann doch nicht –«
Die Jungfräulichkeit, die Miriam mit sich herumschleppte, war ein Anker, und sie hatte sich geschworen, ihn noch vor Tagesanbruch zu lichten. Also fuhren sie mit der
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