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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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man sich beim Verzehr gekochter Eier mit denen verbrüderte, die ihre Hamburger der Soldatenverpflegung geopfert hatten. Und jetzt in einer Proletenkneipe am Northern Boulevard. Die große Komödie des Jahrhunderts: dass es den Kommunismus nie auch nur eine Sekunde lang gegeben hatte. Also gegen wen oder was opponieren?
    Rose existierte. Der Kommunismus, nicht so sehr. Und wozu existierte Rose? Zum Reden und Lesen und Verdonnern. Zum Vögeln, als sie jung war. Jetzt, wo es abwärts ging, zum Reden und Lachen über Albernheiten und Trinken. Nach und nach akzeptierte sie den gastlichen Empfang im Kelcy’s, hin und wieder wurde ein Whiskey mit Soda nicht länger ausgeschlagen, trotz des scheußlichen Geschmacks, an den sie sich nie gewöhnen würde, trotz des damit einhergehenden Verzichts auf die terrierscharfe Intelligenz und Stolperdrahtwachheit, auf die sie jahrzehntelang so stolz gewesen war. Kein Wunder, dass keiner den Juden über den Weg traute! Die Juden verweigerten diese bequeme Beschränktheit, in der bestimmte Grenzen verschwammen und zerfielen und ein automatisches menschliches Amalgam bildeten, das außerhalb des kapitalistischen Tauschverkehrs existierte und von dem Sozialisten nur träumen konnten. So spät im Leben den Rausch zu entdecken – aber nicht zu spät. Sie war aus der Partei in staatsbürgerliche Betätigungsfelder und bürgerliche Institutionen gestolpert; sie hätte lieber im nächstgelegenen Wirtshaus einkehren sollen. Sie hätte bei der einzigen Gelegenheit, bei der Miriam ihr einen Jointangeboten hatte, annehmen sollen. Hasch war wie der Feminismus: ein ausgeschlagenes Geschenk, eine Gelegenheit, die mit ihrer Tochter gestorben war.
    Eines Nachmittags gab Archie, der prachtvolle surrealistische Poet, Roses heimlicher Grundstimmung einen Namen. »Genossenlichkeit.« Er hatte nach einem Wort für das Gefühl zwischen sich und den anderen Anwesenden gesucht, den Männern, denen er in einem fort auf die Zehen trat, wenn er sie nicht gerade mit seinen grotesken Einschätzungen vor den Kopf stieß: der Polen (»Polacken haben eine gewisse Tendenz zur Antriebsschwäche«), der Italiener (»Wir stehen da in der U-Bahn wie die Sardinen, Licht ausgefallen, Klimaanlage ausgefallen, und ich steh neben so ’nem 140-Kilo-Itaker, die Hälfte davon Knoblauch«) und der Eschatologie (»Für euch Liberale kann die Welt doch auf mehr verschiedene Weisen zugrunde gehen, als ein Hund Flöhe hat«). Rose war im Lauf der Zeit mit allen Mitwirkenden der Kneipe vertraut geworden: dem düsteren Hank Pivnik, der immer in eine unsichtbare Ferne blinzelte, vielleicht in Richtung seines traumatisierenden Omaha Beach; Barney Hefner (»Nicht verwandt mit Hugh«, sagte er, als er Rose vorgestellt wurde, »aber wir teilen gewisse Vorlieben«); Van Ranseleer, der Blinde mit dem trockenen Humor; und schließlich Harry Snowden, der überlastete Barkeeper, der sich wider besseres Wissen auf eine Partnerschaft mit Bunker vorbereitete. Archies Traum war nämlich, »Kelcy’s« vom Fenster abzukratzen und die Kneipe auf den Namen »Archie Bunker’s Pinte« zu taufen.
    Womit er absolut recht hatte, denn es war seine Pinte. All ihren Protesten zum Trotz hatte er die verschiedenen Männer an der Bar in der Tasche, unter seiner Fuchtel, und Rose war jetzt eine von ihnen. Außerdem erdreistete sie sich zu glauben, sie wäre für ihn nicht unsichtbar, und er würde etwas für sie empfinden. Und als in seinem Redeschwall eines Tages dieser sinnträchtige Schnitzer auftauchte, beschloss sie, vor ihm ein Geständnis abzulegen und ihr Stigma auf humorvolle Weise öffentlich zu machen.
    »Genossenlichkeit«, wiederholte sie und rückte einen Barhocker zuihm auf. »Ganz deiner Meinung, Archie, mir doch egal, was die anderen denken. Du und ich, wir sind zwei reuelose Genossenliche.«
    Er machte ein Gesicht wie eine quengelige Bulldogge und hob einen Wurstfinger. »Pass auf, Rose, was ich sage, kannst du nicht einfach aus dem Konnex reißen.«
    Aber sie war nicht zu bremsen. Mit anzuschauen, wie Archie kurz vor der Explosion stand, war das einzige Laster, das sich Rose dieser Tage gönnte, der Whiskey war im Vergleich dazu gar nichts. Dass er in ihre Richtung explodieren könnte, war allzu verlockend. »Mein lieber Archie, ich meinte nur, dass an der Art, wie man sich darauf verlassen kann, dass du oder Harry Runden spendiert, etwas ist, das der Auffassung des ›Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‹

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