Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
Subway wieder zum Grand Central, und sie lotste ihn nach unten zu dem Gleis, auf dem die Linie 7 sie zurück nach Queens bringen würde, und dort ganz ans Ende des Bahnsteigs. Wundersamerweise wartete dort ein Zug und vibrierte mit offenen Türen. Sie stiegen ein, und er fuhr los, als hätte er nur auf sie gewartet. »Auf der anderen Seite vom Fluss fährt der Zug als Hochbahn weiter, Porter. Ich zeige dir etwas, was du noch nie gesehen hast.«
    »Und das wäre?«, fragte er verträumt. Sie waren mit ineinander gehakelten Fingern gegangen, hatten den anderen immer wieder eng zu sich gezogen, seine Hüfte an ihrer Taille, ihre Brüste an seinen Rippen, jeder seltsam reibende Schritt eine Art Verlängerung des endlosen Schäferstündchens, zu dem die Nacht geworden war. Jetzt lehnten sie an einer Tür, waren nicht bereit, ihren Körperkontakt von Kopf bis Fuß zu lösen, und mit dem Ruckeln des Zugs schob sich sein Knie zwischen ihre Beine. Im Schritt umklammerte sie seinen Schenkel mit ihren.
    »Wirst du schon sehen. Die größte Kurve im ganzen System«, zog sie ihn auf.
    »Ich glaube, ich weiß, was du meinst.«
    »Dann kannst du sicher sein, dass du falsch liegst.«
    »Keine Kurve, die du mir zeigen kannst, kann falsch sein.« Was war das bloß für ein Geschwätz, so dämlich bezaubert, beidseits so unvorsichtig überwältigt, so besoffen von Witz und Verheißung des anderen? Oder sollte die Frage eher lauten: Wieviel Rotwein hatte sie in der Cedar Tavern in sich hineingekippt?
    »Merk dir, wo wir stehengeblieben sind«, flüsterte sie wieder.
    »Ich glaube, ich stehe schon eine ganze Weile.« Porters letzte Schweinigelei schrammte schon knapp am Unsinn vorbei. Der Zug nach Queens rettete sie mit dem Aufstieg aus der Dunkelheit, kreischte im Konglomerat von Straßenlaternen und Beschilderungen an der Jackson Avenue dem Mond entgegen. »Ach du Schande!«, rief er. »Das ist ja die reinste Achterbahn!«
    Wie gewöhnlich waren Miriams Tatsachen nicht einmal als Zweideutigkeiten aufgefasst worden, als zwinkernde Ungereimtheiten. »Nein, hab ich doch gesagt«, sagte sie, übernahm Porters Marotte und sprach sie ihm wieder ins Ohr, um das Rattern und Quietschen der Hochbahn zu übertönen. »Das war noch gar nichts, sieh dich vor. Die eigentliche Kurve ist erst die nächste, pass auf.« Sie drehte ihn zum Türfenster, damit er es besser sehen konnte. Der erste Wagen der 7 fuhr pflichtgemäß in die Station Queensboro Plaza ein; Porter klappte gleichsam bestätigend die Kinnlade weg. »Das ist die einzige Stelle im ganzen U-Bahn-Netz, wo du aus den letzten Wagen sehen kannst, wie die ersten Wagen des Zugs, in dem du gerade sitzt, in den Bahnhof einfahren«, sagte Miriam. Als sie ihm das einhämmerte, fühlte sie sich wie Rose. Als hätte sie den Hammer von Roses Persönlichkeit übernommen, um den Jungen von der Columbia zu beeindrucken, Dellen in seiner hohen, törichten Stirn zu hinterlassen. (Wie konnte man sich bloß wie die ganzen Scharen an der Columbia und dem Barnard die Mühe machen, nach New York City zu ziehen, ohne dann das U-Bahn-Netz abzufahren?) Als würde Miriams Lebensüberschwang auf Roses strafende Wildheit zurückdeuten, genau so wie der IRTRichtung Depot kreischte. Zögerte Miriam an diesem Punkt und hinterfragte ihre Motive, Porter nach Queens gebracht zu haben? Nein. Sie war heiß, hatte das Gefühl, schon ihr ganzes Leben lang heiß gewesen zu sein, und jetzt würde sie herausfinden, was es mit diesem Geheimnis, mit einem Mann zu schlafen, auf sich hatte. Schlicht und einfach. Sie brauchten ein Zimmer für sich. Miriam hatte eines zu Hause.
    Sie versuchte, Sunnysides 47th Street durch seine Augen zu sehen. Die schlummernden Wohnblocks, die gepflegten Büsche und Gehwegplatten, Miriams Stadtteil als trügerische Vision der Ruhe, die dröge Phantasie einer Immigrantin, in Amerika eine Zuflucht zu finden, drehte ihr plötzlich den Magen um; sie trieb ihn weiter. Außer ihnen beiden war an der Station Bliss Street niemand ausgestiegen, und auf den Gehwegen kam ihnen niemand entgegen. Die ganze Fahrt hätte ein Traum in ihrem Schlafzimmer sein können, als sie jetzt auf Zehenspitzen durch die Gardens schlichen, durch die Küchentür, die am weitesten von Roses Schlafzimmer weglag, und sie Porter schließlich ins Haus scheuchte. Nur quasselte er immer noch von der Achterbahnfahrt mit der Hochbahn, und sie musste ihn zum Schweigen bringen, bis sie ihre Tür hinter ihnen geschlossen hatten. Sie legte ein

Weitere Kostenlose Bücher