Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
er in einer Vorlesung von Trilling. Miriam musste alles allein erledigen. Sie erhob sich in ihrem Umhang vom Bett wie ein Geist oder eine Muse, nahm Porter am Ellenbogen und schob ihn an Rose, der es einen Augenblicklang die Sprache verschlug, vorbei durch die Küche. Porter war augenscheinlich zwar anständig angezogen, bewegte sich aber so unbeholfen, als hätte er sein Jackett falsch herum angezogen und trüge Schuhe an den Händen.
»Geh.«
»Es tut mir so leid. Wann kann ich –?«
Wann kann ich was?, dachte Miriam, vollkommen im Tonfall von Rose Angrush Zimmer, nur dass Rose es laut gesagt hätte. Welchen Teil dieser Vorstellung wollte Porter überdenken oder wiederholen? Sie würden sich jedenfalls schon bald wiedersehen, das hieß, falls Miriam je wieder aus dem Haus kam. Sie streckte sich zu einem hastigen Kuss auf die Zehenspitzen, selber überrascht, dass sie einen wollte. Schließlich hatte sie Porters heimlichen Herzschlag gestreichelt, seine intimen Seufzer gesammelt. Während ihrer Romanze in den letzten Stunden hatten sie schließlich die wichtigsten Stationen von Miriams Stadt abgeklappert, Stunden, die jetzt einer anderen Nacht, einem ganz anderen Leben anzugehören schienen.
Das Licht in den Gardens verriet schon die Morgendämmerung. Carl Heuman stand entgeistert auf dem Weg, wirkte traurig in einer Dodgers-Jacke, in der er wie ein Vierzehnjähriger aussah, gedachte des Wegzugs der Mannschaft oder leugnete ihn, und wahrscheinlich hatten sie ihn beim morgendlichen Mäandern zum frühen sonntäglichen Baseball-Training auf dem Diamond der Sunnyside High gestört, wo Miriam ein Jahr vor Carl und ihren anderen Altersgenossen ihr letztes Jahr abgesessen hatte. Carl Heuman hatte also gesehen, wie sie, in eine Bettdecke gehüllt, den Jungen von der Columbia durch die Küchentür schob. Das war egal. Doch sie wechselten einen kurzen Blick, und Miriam hatte in einem Augenblick stillstehender Zeit eine unwillkürliche Offenbarung: Wenn sie heute starb (wie kam sie jetzt bloß darauf ?), hätte Carl Heuman sie hundertmal, tausendmal besser gekannt als Porter. Einfach weil er Sunnyside Gardens und ihre Bedeutung kannte, weil er Rose Zimmer kannte, wie alle Nachbarn sie kannten (Jungen wie Carl Heuman hatten eine Heidenangst vor Rose), weil erin genau den Klassen saß, die Miriam gemieden hatte, weil er schlicht und einfach von hier stammte, genau darum verfügte der einsame und verlassene Carl Heuman, der nur einen Sinn im Leben gekannt hatte, der dritte jüdische Pitcher aller Zeiten in einer Mannschaft zu werden, die es nicht mehr gab, genau darum verfügte er über das spezifische Wissen, wer die Miriam war, der Miriam noch gar nicht entkommen war, selbst wenn er von diesem Wissen nicht wusste. Porter dagegen hätte, was die Kenntnis des Wesens anging, mit dem er die Nacht verbracht hatte, vom Mars stammen können. Miriam verwandelte sich womöglich mit rasantem Tempo in die andere, das Mädchen, das Porter hinter dem Strohmann ihres offiziellen Begleiters mit List und Tücke aus dem Kellerclub gelockt zu haben glaubte, dann halb über die Brooklyn Bridge und zurück, dann nach Queens, bis er schließlich fast vergewaltigt und der Vergewaltigung bezichtigt worden war, alles im Abstand weniger Minuten, aber noch war sie es nicht. Noch war Miriam das Mädchen, in dessen Seele der einfältige, gehorsame Carl Heuman mühelos, wenn auch beschämt Einblick erhielt. Und während erst Carl und dann Porter über die lichtgetüpfelten Wege der Gardens davoneierten und schließlich verschwanden, schloss Miriam die Küchentür und stellte sich Rose.
Last Sunday morning, Lord, Lord, Lord / Oh, my daddy went a-hunting, Lord, Lord, Lord.
Rose, die, wie man meinen sollte, die Zwischenzeit hätte nutzen können, um den Morgen in die Wohnung zu lassen, hatte offenbar das Gegenteil getan und alle Jalousien gegen das Tageslicht herabgelassen, um die vorwurfsvolle Atmosphäre der Nacht länger auskosten zu können. Dann hatte sie sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen, den dunkelsten Raum der ganzen Wohnung. Ein Rückzug, aber keine Kapitulation; sie hatte die Tür offen gelassen, was für Miriam weniger eine Einladung als ein Befehl war, sich in Roses Allerheiligstem einzufinden.
Falls Miriam Roses Gedanken lesen konnte (konnte sie), hatte diese natürlich eine Ausrede für die Verdunklung der Wohnung parat:die der Scham angesichts einer Tochter, die ihre Nacktheit nur mit einer Bettdecke verhüllt hatte. Nein, Roses
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