Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
wäre hin und her gegangen, um den unangenehmsten Augenblick für diesen Zusammenstoß auszuwählen, und sie hatte wahrlich eine reiche Auswahl gehabt.
»Sag du mir nicht, wie ich reagieren soll. Sag du mir nicht, was ich tun soll. Wenn ich nicht die Polizei rufe, dann weniger aus Gnade als aus Angst, sie könnten mich wegen Versäumnis der elterlichen Sorgepflicht festnehmen.« Roses kühne, lauter werdende, theatralisch gelungeneErklärung bügelte ein zaghaftes, heiseres Stottern ab, das Porters Versuch sein mochte, sich zu entschuldigen, sich vorzustellen oder beides, während er seine Brille auf die Nase zurückjonglierte und an seinem Reißverschluss und der verrutschten Hose herumzerrte. Rose herrschte ihn à la Barbara Stanwyck an: »Das fällt übrigens unter Vergewaltigung, mein Herr, falls Sie nicht zufällig selbst noch zur Schule gehen.«
»Hier ist niemand vergewaltigt worden«, sagte Miriam, und ihre Enttäuschung färbte das Wort sowohl für Rose als auch für Porter mit Verachtung ein. »Und ich gehe auch nicht mehr zur Schule, das könnte dir so passen.«
»Solltest du aber. Glaubst du, du bist jetzt eine Frau, bloß weil du eine Klasse übersprungen hast? Deine Brust da hat diesen jungen Mann genarrt, das ist verständlich, aber warum hat sie auch dich genarrt? Vielleicht seid ihr bereit, Eltern eines Kindes zu werden. Das macht aber weniger Spaß, als man am Anfang meinen würde, wenn man noch beim Babys-Machen ist.«
»Niemand macht hier Babys.« Miriam dachte wieder an das Wort Pessar. Solange Porter im Raum blieb, war die Szene nur eine komische Ouvertüre der eigentlichen Krise, die Explosion kam erst noch. Es lag nicht daran, dass Porter Miriam nicht gegen Rose verteidigen konnte, oder nicht nur. Es lag daran, dass Rose erst explodieren würde, wenn Porter von der Bildfläche verschwunden war, also wusste Miriam nicht, womit sie es zu tun bekommen würde und wogegen sie sich wappnen musste.
Stattdessen spielte Rose für eine unsichtbare ferne Galerie von Zuschauern, die sie, wie sie meinte, durch Porters Augen beurteilen würden: Gojim, Männer, New Yorker Intellektuelle, ganz allgemein Fremde. Solange er also dastand und sie angaffte, die eine Hand erhoben, als ginge er ernsthaft davon aus, man erwarte irgendwann einen Beitrag von ihm, hielt Rose Volksreden und probierte verschiedene selbstgeißelnde Posen aus. Obwohl ihr Monolog von einiger Durchschlagskraft war, wusste Miriam, dass er nur ein Platzhalter war, eineHinhaltetaktik. »Ich wollte eine junge Frau erziehen, aber stattdessen habe ich anscheinend einen amerikanischen Teenager hervorgebracht. Die Schuld liegt natürlich bei mir, es lässt sich aber auch nicht leugnen, dass der Versuch auf hundertfache Weise sabotiert wurde. Zuerst vom Vater, der nicht zu Hause zu halten war. Was das angeht, liegt die Schuld eindeutig bei mir, wir haben schreckliche Kämpfe ausgefochten, ich konnte ihn nicht langfristig faszinieren, wie du als Freidenkerin das offenbar schon gemeistert hast, aber ihr beiden Turteltauben könnt euch nicht vorstellen, in was für eine Welt ich dieses Mädchen damals gebracht habe. Was für ein Schlachtfeld. Kein Spielplatz für Kinder in den Körpern Erwachsener. Ihr habt es eilig, erwachsen zu werden – wir hatten unsere Kindheit aufgegeben, bevor uns das klar wurde. Ich hab mich hinten im Süßigkeitenladen meiner Eltern krumm und lahm geschuftet. Der hier, Miriam, hah! Schau ihn dir an! Der erkennt ein Fass Halwa doch nicht mal, wenn ich’s ihm ins Gesicht ramme.«
Halwa! Oh, eine Intervention war dringend nötig, das Problem war bloß, dass Porter keinen Anstoß erregte, der einen Rausschmiss gerechtfertigt hätte. Er stand nur einfältig da und wartete darauf, dass er an der Reihe war. War er aber nie. So wie sie sich vorher ein bisschen mehr Vergewaltigung gewünscht hätte, so wünschte sich Miriam jetzt, Porter würde irgendwelche Anstalten machen, seien es auch noch so panische, die Rose einen Grund gaben, ihn an die Luft zu setzen. Stattdessen fiel Rose, der seine Passivität nicht entging, über den Zuhörer her. Miriam hätte nicht mehr sagen können, wie oft sie schon Leute gesehen hatte, die erstarrt auf einer Gehwegplatte standen, während Rose ihnen eine geharnischte Standpauke hielt, allerdings hatte sie auch noch nie nackt und in eine Bettdecke gehüllt daneben gestanden, während ein Möchtegernliebhaber die Rolle übernahm. Vielleicht würde Porter gleich anfangen mitzuschreiben, als säße
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