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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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Kilometer von ihrer Wohnung entfernt zu Fuß unterwegs.«
    »In welche Richtung?«
    »Osten, glaube ich. Spielt das eine Rolle?«
    »Reine Neugier. Und?«
    »Als man sie nach Hause brachte, fanden sich in ihrer Küche nur ein paar Dosen Sardinen. Und im Kühlschrank ein paar Flaschen Gemüsesaft.«
    »Dasselbe hätte man wahrscheinlich bei jeder Kühlschrankkontrolle der letzten Jahrzehnte gefunden. Jedenfalls seit der Erfindung von Gemüsesaft.«
    »Ähm, ja … verstehe.«
    »Wobei mir jetzt erst auffällt: Hatte das nicht mit der Lebensmittelrationierung im Zweiten Weltkrieg zu tun? Acht Gemüsesorten in einer Flasche?«
    »Wie bitte?«
    »Entschuldigung. Sie erläuterten gerade, in welchem Zustand Rose aufgegriffen wurde.«
    Die Sozialarbeiterin, die im Sekretariat des Instituts für Komparatistik eine Nachricht für Cicero Lookins hinterlassen hatte, musste definitiv etwas anderes erwartet haben als das, was da gerade in ihrem Büro aufgetaucht war; auch wenn er ein Tweed-Jackett, seine blaue Krawatte und Halbschuhe trug, auch wenn er in standardamerikanischer Aussprache grammatisch vollkommene Sätze bildete. Auch wenn er einen sorgfältig frisierten, auf genau zweieinhalb Zentimetergestutzten Afro trug, denn das war noch Jahre, bevor seine Dreadlocks – sein haariger Jargon, sein Mehrwert, sein unübersetzbares Selbst – eruptiert waren. Gebildete Frechheiten von einem schwarzen 140-Kilo-Mann reichten. So war das für Cicero gelaufen, seit er vom Podium im Renaissance Ballroom nach Princeton gegangen war, eine Benommenheit wie die dieser Bürokratin bei seinem Anblick gehörte zu den seriellen Belohnungen für die überragende Leistung, nicht nur die Stationen seines Lebenswegs erreicht zu haben, sondern auch seine Ausdrucksweise den jeweils geltenden Normen anpassen zu können. Anscheinend hatte er diese weiße Lady zum Narren gehalten, als er zurückgerufen hatte. Niemand brauchte sich zu wundern, wie der schwarze Richter Clarence Thomas zu seiner Identifikation mit dem Aggressor gelangt war, denn dank seinen Errungenschaften war Cicero Zeuge geworden, wie Liberale ihre Positionen korrigierten, wenn sie mit echter Gleichheit in Kontakt kamen. Sollte sie doch in ihrem Dilemma schmoren; er würde nicht zu ihrer Rettung herbeieilen.
    »Sie sind vielleicht darüber informiert, dass ihre Schwestern in Florida leben. Sie waren für den Versuch einer Kontaktaufnahme unempfänglich. In einem lichten Moment schlug Mrs. Zimmer vor, den Vorstand der Queensboro Public Library zu kontaktieren, dann stellte sich aber heraus, dass sie aus diesem schon vor Jahren ausgeschieden ist. Ihre leibliche Tochter ist verstorben. Es gibt einen Enkelsohn, der noch nicht volljährig ist und weit weg wohnt. Sie hat Sie als Ihren Schwiegersohn genannt – unsere Unterlagen könnten an diesem Punkt unvollständig sein.«
    »Sie meinte das im übertragenen Sinn«, sagte Cicero.
    »Fallen Ihnen noch andere Familienangehörige ein, die wir informieren –«
    »Ich dürfte gegenwärtig der aussichtsreichste Kandidat sein.«
    »Sie erwähnte noch einen Archie.«
    »Ich fürchte, der wird Ihnen keine große Hilfe sein.«
    Es hatte einiger Anrufe aus seiner Wohnung in Princeton bedurft, bevor Cicero durchschaut hatte, wen sie eigentlich meinte.
    »Ist das – ein Freund? Besucher sind, auch wenn sie selten kommen, an und für sich ein Rettungsanker, besonders während der Phase des Übergangs in das betreute Wohnen.«
    »Meines Wissens ist er verheiratet und dürfte es vorziehen, nicht involviert zu werden.« Cicero sagte sich, dass es Rose bei diesen Leuten kaum zum Vorteil gereichen würde, wenn er ihren Dauerwohnsitz in den Gefilden der Phantasie erläuterte. Nein, Archie Bunker wird sich in Ihrem Aufenthaltsraum kaum zu Mrs. Zimmer setzen und mit ihr Kreuzworträtsel lösen, und das gilt auch für Abraham Lincoln, Fiorello La Guardia und John Reed. Schlimmstenfalls verwunderte die Sozialarbeiter eben die riskante Unterstellung, Rose könne einen verheirateten Mann aufgerissen haben. Die Bürokraten sollten lieber darüber in Kenntnis gesetzt werden, was für ein ungestümes Wesen sie sich da angelacht hatten, jedenfalls sofern Rose zu ihren »lichten Momenten« zurückfand. Und vielleicht auch wenn nicht.
    Er hoffte inständig, dass Rose noch die Kraft besaß, diese scheiß Klitsche auseinanderzunehmen und die Reste zu Boden rieseln zu lassen.
    Cicero konnte bei seinen Ressentiments nicht genau sagen, ob er Rose oder sich selbst

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