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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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allem, was sie je erlebt hatte, kleine Ranken, die ihr da, wo sie jetzt in die Hocke ging, die Nervenenden neu verdrahteten. In Städten mochten die Gebäude aus Rauch bestehen, Manhattan war ein Aschenbecher, eine Schale vieler Leben, die zu Asche verglommen, und alle scheinbar sauberen Hemden tränkte, jedes Deo machte den Aufwallungen von Ungeduld und Nikotin Platz. Als sie auf die Bergstraße gekommen waren, war der CIA-Botaniker in seiner übertriebenenGenauigkeit immer wieder in den Wald gegangen, hatte Proben geholt und darauf bestanden, dass sich Miriam für Farne interessierte. Gelangweilt hatte sie nachgegeben, sich ein paar Begriffe gemerkt – Microgramma, pedata, cuspidata  – und gemerkt, dass sich ihre Sinne unwillkürlich schärften. Die Stille des Waldes hatte sie gepackt, Tiertau tropfte durchs Laub, die geruchlos unzivilisierte Süße des Sauerstoffs. Eine Zigarette war hier draußen der reine Acid-Trip. Fred der Kalifornier rauchte vielleicht Camels, jedenfalls irgendwas ohne Filter, oder aber in ihren Nebenhöhlen und dem Vorderhirn waren die Filter entfernt worden, so dass Entzug und unzensierte Angst sie auf einen Trip schickten. Sie würde ihm ein bisschen Romantik vorgaukeln, bevor sie ihm die Eier zermatschte, ihm den Ellbogen in die schwarzbepelzte Kehle stieß oder ihn mit den gesplitterten, dreckstarrenden Fingernägeln bis aufs Blut kratzte. Wenn es sein musste, würde sie das Blut des Kaliforniers trinken.
    Erst für die Länge einer Zigarette leben und dann sterben, möglichst aber auch den Mann sterben lassen. Und die unfreiwillige Mitgift ihrer ehelichen Jungfräulichkeit bewahren. Tommy hatte Quäker-Versammlungen zum passiven Widerstand besucht, während Stella Kim und sie Selbstverteidigung für Frauen bei einem Kampfsportler gelernt hatten, dem immer einer abging, wenn sie ihm den Arm verdrehten oder ihn an sich zerrten, um ihm scheinbar ein Knie in die echten Eier zu rammen. (»Drehen, treten, schreien«, lautete das Mantra des Selbstverteidigungstrainers. Hier konnte sie sich das Schreien sparen.) Stella vögelte den Typ, der, wie sie später mitbekamen, nach einem bewaffneten Raubüberfall festgenommen wurde, eine ziemlich lächerliche und beschämende Angelegenheit für einen Kung-Fu-»Sensei«, der einen angespitzten Schraubenzieher dabei hatte. Was sie jetzt für den gegeben hätte.
    Was hatte Miriam jetzt denn noch? Sie wusste, dass der Junge in Sicherheit war. Bevor sie in León aufgebrochen waren, hatte sie Stella Kim geschrieben und gewusst, dass das vielleicht ihre letzte Chance war: Egal was passiert, sorg dafür, dass er nicht meiner Mutter in die Händefällt. Ansonsten war Miriam aufgekratzt und touristisch drauf und schrieb zwei Postkarten voll, die sie dann in einen Umschlag steckte, auf den sie außen unter die Lasche noch mal dasselbe schrieb. Er sollte gefunden werden. Er sollte gesehen werden. Wissen, dass sie gelebt hatte. Dass sie die Höhenluft des Regenwalds erreicht hatte, egal wem sie in die Hände gefallen war. Dass sie unter Dichtern und Revolutionären gelebt hatte, während Albert unter Bürokraten und Informanten gelandet war. Niemandem die Befriedigung gönnen, schon gar nicht diesem Arschloch und Möchtegernficker Fred dem Kalifornier, der, wie ihr der Schimmer verriet, eine Pistole im Zelt hatte und so tat, als würde er durch das Moskitonetz nicht beobachten, wie sie dahockte und der Urin durch den Topfreiniger zwischen ihren Beinen floss, wobei sie genau auf einen Farn zielte, als Tribut an la flora de Nicaragua. Dass sie Tommy bis an die Grenzen seiner Fähigkeiten und Talente getrieben hatte. Sandinistan Light musste niemand hören, es genügte, dass Tommy die Platte komponiert hatte, das Album bildete sich zwischen ihnen wie ein Hologramm, war so echt wie die Bowery. Wenn er nicht schon tot war, sang er die Songs vielleicht gerade den Soldaten an einem anderen Lagerfeuer vor und nickte angesichts der ungerührten Verständnislosigkeit in ihren vom flackernden Feuerschein erhellten Gesichtern, als würde er sie irgendwann zum Mitsingen bewegen können, wenn er sie nur lange genug anfeuerte, kommt schon! Und jetzt alle! Anders als Rose bis zu ihrem letzten Stündlein mit dem ersten und einzigen Mann verheiratet sein, der sie je besessen hatte. Und gleichzeitig genau wie Rose entdecken, mit diesem Wissen aber besser umgehen können: Am Ende ist jede Zelle unterwandert.

»Als Mrs. Zimmer gefunden wurde, war sie nach Einbruch der Nacht sechs

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