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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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seltene Pflanzen im Naturschutzgebiet Estero Real katalogisierte. Der Mann war Wissenschaftler, ein Stümper im schweißfleckigen Leinenanzug. Man sah einfach automatisch eine Figur, wie sie durch die Kulissen eines Romans von Graham Greene glitt; Tommy machte ihn noch am ersten Abend in einem Song unsterblich. Der Botaniker erklärte ihnen, auf der honduranischen Seite hätte er die Bergkette schon erkundet, dem Vernehmen nach gäbe es aber Farne, die nur auf der nicaraguanischen Seite wüchsen. Obwohl der Botaniker eifrigst seine Solidarität mit dem Volk zum Ausdruck brachte und die Zwangsläufigkeit betonte, mit der die FSLN in Managua die Zügel an sich reißen müsse, besaß er doch Papiere der Somoza-Regierung, die seine Expedition autorisierten und so legitim waren, dass er sich zutraute, einen Checkpoint auch in Begleitung eines Mannes zu überstehen, der eine Gitarre dabei hatte, solange der sie nicht auspackte und zu spielen anfing.
    Während Miriam von den Männern getrennt vernommen wurde und mit ihrem Mantra von turista und científica anscheinend auf blankes Unverständnis stieß, hörte sie trotz der Geräusche der Anlage die unverkennbaren Klänge von »A Lynching on Pearl River«. Keine verheißungsvolle Wahl, aber Tommy erklärte später, sie hätten ihn aufgefordert zu spielen, um zu beweisen, dass er kein Spion war. Die Papiere des Botanikers hatten anscheinend nicht den umfassenden Einfluss, den er erhofft hatte, und Tommy war in seiner Panik auf seine allererste Eigenkomposition verfallen.
    Ob der Botaniker nun für die CIA arbeitete oder nicht, war einer dieser Streitfälle, die man ewig diskutieren konnte, wenn man soviel Zeit hatte, aber genau die hatten sie offenbar nicht. Als er aus dem Lager von El Destruido verschwunden war, hatten sie die Möglichkeit kurz erörtert, wobei Miriam wie so oft entnervt war, von welch einer übernatürlichen Unbelecktheit Tommy in solchen Verschwörungsangelegenheiten war. Der unbefangene Tommy, der vielleicht der am wenigsten zum Spion taugende Mensch war, den Miriam je kennengelernt hatte, war auch am wenigsten qualifiziert, einen zu erkennen. Wieviel oder wenig die alte Schwuchtel über Farne wusste, war kein Argument pro oder contra, außer man hielt James Bond für ein realistisches Beispiel der Arbeitsweise von Geheimdiensten. Irgendwo musste man schließlich rekrutieren. Die CIA hatte mit ihrem Geld schon schrägere Unternehmen als die Farnbotanik unterstützt, ihre Sache vorangetrieben, und wahrscheinlich waren von CIA-Farnmaulwürfen schon ganze und ausführliche Botanikhandbücher geschrieben und ganze Botanikkonferenzen bestritten worden. Außer denen, die sich als Undercover-Agenten auf diesem Arbeitsgebiet tummelten, gab es vielleicht niemanden mehr, der sich auch nur einen Dreck für Farne interessierte. Genau das gleiche wie bei den amerikanischen Parteikommunisten im Jahr 1956.
    Nur noch einen Streit gewinnen.
    Speziell mit ihrer Mutter.
    Mensch, schlimmstenfalls auch verlieren.
    Die Frage, ob Fred der Kalifornier bei der CIA war, stand auf einem anderen Blatt; an diesem Punkt musste sie hoffen und beten, dass er das war und nicht, wonach es aussah und wofür sich ihr alle möglichen Begriffe aufdrängten, die aber nicht zusammenpassten: Freelancer, Söldner, Schurke, durchgeknallter Psychopath. Es war schon fast eine Erleichterung, Tommy nicht erklären zu müssen, was hier vor sich ging, obwohl sich dieser Gedanke in den Schwanz biss, denn Tommys Abwesenheit war ja Vorbedingung der Lektion, die ihr gerade erteilt wurde.
    Falls Tommy überhaupt noch am Leben war.
    Der Wunsch, das ganze Leben lang einen Partner an der Seite zu haben, war unangemessen, aber Miriam hätte nie gedacht, an einem Ort zu sterben, wo die Frösche nicht nur einfach quakten, sondern über ihr quakten. Dreißig Jahre lang hatte sie sich darauf vorbereitet, diesen Kampf unter einer Kitty-Genovese-Straßenlaterne auszufechten. Stell sich einer vor.
    Die ersten sechzehn Jahre zusammen mit Rose in einer dunklen Wohnung gewohnt zu haben, mochte schon zu viel Partnerschaft gewesen sein, aber Tommys vergleichsweise niedrige Betriebstemperatur stellte ein lebenslanges Erholungsprogramm von dieser ersten Partnerschaft dar, die mehr als genug gewesen war.
    Unterm Strich also einem guten Ehemann eine gute Ehefrau gewesen zu sein, war die vollkommenste Leistung, von der sie im Keller der Himmelfarbs oder bei den Tausenden von revolutionären Zusammenkünften geträumt haben

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