Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
mochte, wenn sie den Kaffeemundgeruch ihrer Verehrer in Greenwich Village gerochen hatte, Porter in seiner klebrigen Unterhose. Nichts als Küsse auf der Brooklyn Bridge, in der Hochbahn, auf dem Washington Square, nichts als Küsse und Fummeln, bis dann Tommy richtig mit ihr schlief. In Dutzenden, ja hunderten späterer Nächte hätten Tommy und sie ohne weiteres aus den Ehebanden in die allgemeine polymorphe Perversion entkommen können, die ihnen überall offenstand, oft genug in den anderen Zimmern des eigenen Hauses. Einen Joint durchziehen, eine Ehe schließen. Inneuen Formaten ins Bett fallen, in Dreiern oder mit besten Freunden, auch den besten Freunden, die man erst am selben Abend kennengelernt hatte und nie wiedersehen würde, zwei Typen mit den Sternbildern Schütze und Fische etwa, die gerade auf der Durchreise aus London nach Mexiko waren, das sie der Länge nach durchradeln wollten, und die sich so herrlich folgenlos anboten (jetzt waren sie vielleicht in Chiapas oder in Costa Rica, also praktisch in Rufweite!). In den Kommunen herrschte ein ständiger Hagelschlag an Möglichkeiten, Wracks, die nicht wussten, dass sie Wracks waren, und einen an Bord holen wollten. Aber nichts war je geschehen. Tommy und sie hatten alle idyllischen Impulse auf das eigene Bett projiziert, hinter ihrer geschlossenen Tür.
    Frauen? Nein, obwohl es in Miriams feministischen Sensibilisierungsgruppen immer lesbische Unterströmungen gegeben hatte, Ehefrauen, die einen nicht nur in den entsprechenden Techniken unterwiesen, sondern sich nach den Treffen auch zu den ersten Orgasmen verhalfen – die sexuelle Revolution begann unter dem Deckmäntelchen dessen, was für die Gatten kaum mehr als Tupperware-Partys waren. Nichts für sie. Viele Freundinnen hatten den Verdacht geäußert, dass es zwischen Miriam und Stella Kim heiß herging. Miriam tat diese Unterstellungen achselzuckend ab, ließ sie geheimnisvoll in der Schwebe, und nur Tommy hatte sie erklärt, dass Brüste sie auf unheimliche Weise anwiderten. Politisch peinlich, aber so war das nun mal. Wahrscheinlich irgendein Muttertrauma – eine Frau zu küssen, hätte Miriam jedenfalls in undenkbare Nähe zu einem namenlosen Grauen versetzt. Auch nur eine Frau mit unverhüllten Brüsten vor dem inneren Auge zu sehen, ließ sie fast in einer Welle psychischen Ekels ertrinken. Wenn Tommy an ihren Brüsten nuckelte, genoss sie zwar die Empfindungen, die zuverlässig sich einstellenden Stromstöße, schloss aber die Augen, damit die Decke nicht auf sie herabstürzte.
    Seit Jahren hatte sie nicht mehr so viel ans Vögeln gedacht wie jetzt, wo sie bereit war zu sterben, um es zu verhindern.
    Wenn sie auch nicht früher sterben wollte als nötig.
    Vom dunklen Pfad in El Destruidos Camp zurück versprach sie sich nichts. Auch der Wald selbst war da, aber nein. Da war sie sich mit Rose einig. Man entschied sich immer für die Brutalitäten der Zivilisation, die Beschränktheiten der Städte. Die urtümliche Erniedrigung durch die Natur war nichts für Rose und Miriam. Der Wald war der Tod. Freds Zelt war ein winziger Fleck Zivilisation, und insofern vielleicht sogar eine Zone der Empfänglichkeit für Rede und Vernunft. Zu Freds Zelt würde sie hinübergehen und sich dort in ihr Schicksal fügen, sobald sie den Druck ihrer Blase losgeworden war, der sie schon seit Stunden begleitete. In Freds Zelt waren die Zigaretten. Warum haben Sie Banken ausgeraubt, Mr. Sutton?
    Noch einen Witz erzählen, selbst wenn den keiner mehr kapierte.
    Die gerettete Vantage, bei der die verpickelten Guardias ihr Feuer gegeben hatten, war Miriams bisher letzte Zigarette gewesen. Aber Fred der Kalifornier würde eine seiner filterlosen Irgendwasse rausrücken. Die würde er ihr im Sinne der letzten Bitte eines Verurteilten bewilligen, weil selbst durchgeknallte psychopathische Freelancer einen Sittenkodex haben. Er würde sie ihr unter dem Fähnchen der Romantik bewilligen, die laut dem Ms. Magazine die Selbstrechtfertigungsfiktion jedes Vergewaltigers war. Miriam war nie vergewaltigt worden, auch wenn es manchmal knapp gewesen war, im Lastenaufzug eines Lofts, beim großen Bruder Rye, Dirk in Deutschland und einer Handvoll anderer Typen, Gelegenheiten und Orte, die jetzt alle keine Rolle mehr spielten. Also unvergewaltigt sterben. Vor dem Sterben noch ein bisschen leben. Eine Zigarette schmecken. Sie roch, dass er im Zelt rauchte, und die Deutlichkeit der Zigaretten des Amerikaners unterschied sich von

Weitere Kostenlose Bücher