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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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wurde und das rosige neue Selbst darunter freilegte. Eine Woche später fand Lenny Arbeit bei Real’s Radish & Pickle und schleppte Fässer. Als Kusine Rose ihn dort im Büro sitzen sah, wie er in Anzug und Krawatte auf das Vorstellungsgespräch wartete, funkelte sie ihn an, als wäre er wahnsinnig, und da wusste er, dass er die richtige Wahl getroffen hatte.
    Rose und Miriam bildeten seinen Kompass – wenn ein Kompass zwei Nadeln haben konnte, eine beständige und eine, die in unbekannte Weltregionen davonflatterte. Rose verbarrikadierte sich in den Gardens und der Nachbarschaft, verschanzte sich in ihrer Bürgerpatrouille, duckte sich in örtliche Missstände. Schottete sich von allem ab, von der Wut in ihren Überzeugungen festgeklebt. Längst zu sehr zur Lebensweise geworden, um noch davon abrücken zu können, auch wenn sie nie darüber sprach. Lenny wusste, dass sie rausgeschmissen worden war. Sie nahmen ihr die Mitgliedschaft, bevor sie sich selbst korrupten Direktiven aus Moskau opferten. Lenny nahm sich Rose zum Vorbild: die Letzte Kommunistin. Er würde ihr nie sagen, was er wusste, dass er sie verstanden hatte, außer indem er sein Verständnis durch sein Dasein zu erkennen gab. Sie waren zu zweit, eine beständige Zelle. Rose war Lennys Kompassnadel, die niemals zitterte.
    Miriam der nestflüchtige Vogel. Von Zeit zu Zeit erblickte Lenny sie,wie sie in ihren Highschool-Jahren explodierte und ihre Brust sich anscheinend jedes Mal, wenn er hinsah, um einen Zentimeter vergrößert hatte. Sein Schoß sehnte sich nach dem Baby, das er gehalten, nach dem Mädchen, das seinem Vetter noch wenige Jahre zuvor die Uhrzeit gesagt hatte, bevor es ihn dann stehenließ. Miriam war noch keine sechzehn, als sie ihn eines Samstags erstmals mit einem »Wie geht’s, wie steht’s« schockierte, als er an der Ecke vom Washington Square Park an einem Betonschachbrett im Freien saß und sich mit einem der Uneinsichtigen durch ein endloses Endspiel schleppte. Man musste diesen Schmendricks beweisen, dass man sie geschlagen hatte, sonst kauften sie es einem nicht ab, bloß weil man sie alle Jubeljahre mal tatsächlich nicht geschlagen hatte. Sie erkämpften ein Remis durch Pattsituationen, wobei sie sich weigerten, diesen Begriff zu lernen, weil sie wohl Angst hatten, er könnte auf ihr Leben im Allgemeinen zutreffen. Miriam und eine Freundin, ein Negermädchen, kamen auf ihn zu, die Distanz zwischen Sunnyside und Greenwich Village kollabierte, Lenny richtete sich aus seiner Fragezeichenhaltung auf und entwuchs fast seiner Kleidung. Sie hätte auch hoch zu Ross vorbeireiten und ihn aus dem Sattel grüßen können, so verwirrt war er.
    Miriam und das Negermädchen trugen Sonnenbrillen. Zwei Teenager, die Lenny auslachten, bevor er auch nur ein Wort herausbekam. Warum begriff er auf der Stelle, dass sein Reißverschluss offenstand? Das musste schon seit vier Stunden der Fall sein. Er schloss ihn und spielte sofort weiter, was den Schmendrick verblüffte, dem er nur die offenen Handflächen gezeigt hatte: Du weißt von nichts.
    »Was machst du denn hier, Mim?«
    »Wir gehen ins Kino, wenn du uns Eintrittskarten kaufst.«
    »Wer ist das?«
    »Janet«, sagte Miriam. »Wir sind Busenfreundinnen.«
    Wenn sie ihn damit provozieren wollte, biss Lenny nicht an.
    »Wohnst du in Manhattan, Janet?«
    Das Negermädchen schüttelte den Kopf, und Miriam sagte: »Wir kennen uns aus der Schule, Vetter Lenny.«
    Lenny sah sich Miriams Freundin genauer an und fragte sich, ob es da eine Verbindung zu Roses Cop gab. Aber der Cop und seine Frau hatten einen Jungen, ein Einzelkind, ohne große Schwester. Das war einer von Miriams typischen und instinktiven Vorwürfen in Richtung Rose: Mutter versteckt sich mit ihrem Schwarzen, ich zeige mich mit meiner Schwarzen.
    »Astrein, ich wundere mich bloß, dass ich dich in der Nachbarschaft noch nie gesehen habe. Warum fahrt ihr nicht einfach nach Queens zurück? Da gibt es auch Kinos.«
    »Die hier mögen wir lieber.« Die Mädchen lachten wieder hinter ihren Glaswänden, in denen Lenny nur sonnenzerscherbte Teile seines verwunderten Selbsts erhaschte. Ihre leicht hysterische Stimmung machte Lenny klar, dass diese Busenfreundschaft, wenn da überhaupt was dran war und sie nicht nur eben gerade aus dem Hut gezaubert worden war und morgen wieder verschwunden sein würde, nur in Greenwich Village aufblühen konnte und nirgends im Umkreis von Highschool 560.
    »Und was schaut ihr euch an, einen Film mit

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