Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
die Augen zusammen, damit sie ihm das abkaufte.
»Susan Klein. Wir waren auf derselben Highschool. Du warst eine Klasse über mir.«
»Das erklärt alles.«
»Du hast mich damals schon fasziniert, weißt du.«
»Ich hatte gehofft, ich würde dich heute faszinieren.«
Das überhörte sie. »Meine beste Freundin war mit einem Jungen aus Sunnyside Gardens zusammen. Moe –«
»Genau, Moe Fishkin.«
»Sie hat gesagt, und das hab ich irgendwie nie vergessen, die Jungen aus Sunnyside Gardens wären Juden, klar, aber sie sehen nicht aus wie Juden.«
Die unsagbaren Gebrechen seiner Überzeugungen. Lenny hatte dafür nur ein Lächeln übrig. 1959 sagte niemand mehr »Ich bin Kommunist« oder nur in Hollywoodstreifen, ein dunkelhäutiger Schurke, der mit ersterbender Stimme und von FBI-Blei durchsiebt auf dem Sterbebett ein Geständnis ablegte, oder ein schwindsüchtiger, in die Irre geleiteter Junge, Robert Walker vielleicht oder Farley Granger, der den Folgen seiner verräterischen Taten ins Auge blickte. Über alle Sympathien, Zugehörigkeiten und Ängste wurde Stillschweigen gewahrt – sag nie Rosenberg, sag nie Hiss, sag nie auch nur Kapitalismus aus Angst vor seinem etwa mitgedachten Gegenteil. Der Alltag war ein Patient, der eine scheußliche und lebensgefährliche Operation überlebt hatte, die seiner Abtrennung von der Geschichte nämlich. Jede Sekunde konnten die Wunden wieder zu bluten anfangen.
»Moe Fishkin ist im Sommer ’56 Soldat geworden.« Sollte sich Susan Klein doch ruhig fragen, warum sich ein so vielversprechender Intellektueller wie Fishkin ausgerechnet in jenem Augenblick für den anonymen Dienst fürs Vaterland entschieden hatte. Fishkins Kampfgeist war von Chruschtschow lobotomisiert worden. Lenny drückte die Lippen auf Susan Kleins mütterliche Züge, schob die Hand durch den Reißverschluss an der Seite des Kleids und legte sie ihr ins Kreuz, und dann suchte sein Mund bei den töchterlichen Titten Futter.
In jenen Jahren zeugte Lenny die Sunnyside Proletarians, einen Ort, wo sich die Wahrheit in aller Öffentlichkeit verstecken konnte. Da die neue Baseballmannschaft Dodgers und Giants codieren würde, konnte das Namenlose neu benannt, das Verlorene wiedergefunden werden. Vielleicht war es auch nie verloren worden, weil es nie existiert hatte.
Wahrer Kommunismus war per definitionem eine Zukunftsverheißung.
1958 und 1959 hing der wahre Kommunist im leeren Raum, hatte keinerlei Illusionen mehr und wusste nicht, wie es weitergehen sollte, auch wenn es weiterging. Keine Trotzki-Ablenkungen mehr, denn auch Trotzki hatte sich mitschuldig gemacht. Keine Volksfront, keine Gewerkschaftsorganisatoren, kein Diese Gitarre tötet Faschisten, kein Kommunismus ist der Amerikanismus des 20. Jahrhunderts. Die wahre Kommunistin drehte in ihrer Küche die Lasche einer weiteren Dose Sardinen auf. Der wahre Kommunist behauchte eine österreichische Goldkrone von 1915, bevor er sie mit Sämischleder blank polierte.
Der wahre Kommunist wartete.
Am Anfang des neuen Jahrzehnts präsentierte Miriam ihrem Vetter dann den irischen Folksänger, und der sagte »Sehr erfreut« (dum, dum, dum), und Miriam erzählte ihrem Vetter, sie hätte den Mann kennengelernt, den sie heiraten würde, und bald darauf musste Lenny Angrush einsehen, dass er sein Leben verwartet und die Mitgift seines innigsten Wunschs versenkt hatte, die gehortet worden war, seit er mit acht Jahren das Wickelkind in den Armen, im Schoß und auf den übereinandergeschlagenen Beinen geborgen hatte, und im Gegenzug hatte er ein paar beschissene Knittelverse bekommen, die nicht mal eine anständige Melodie mitbrachten, die Hymne einer Baseballmannschaft, die es nie geben würde.
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Nur ein einziges Mal betrat Lenin Angrush später das Stadiongelände in Flushing, das nach Shea benannte Stadion. Das war 1964, im Jahr der Eröffnung, er betrat es, bevor dort je ein offizielles Spiel abgehalten worden war, und sollte nie mehr zurückkehren. Tommys Song war da glücklicherweise längst vergessen, der Name Sunnyside Proletarians fast vergessen, und Lenny hatte seine Baseballbegeisterung an den Nagel gehängt. Nur wenn er die Daily News aufschlug, huschten seine Augen noch unwillkürlich zum Rattenlabyrinth der Spielberichte und genossen die kümmerlichen Erfolge der Dodgers,die Brooklyner gewesen waren und sich noch in Los Angeles abquälten, Brooklyner Stars, die bis auf den aufsteigenden Koufax in der Westküstensonne einer nach dem anderen
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