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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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verblassten. Der Effekthascherei der Mets unter Casey Stengel konnte Lenny nie etwas abgewinnen, für ihn war das von Anfang an nur Affentheater und ein Werbegag. Lenny war inzwischen ein Schachmann, ein Münzenmann und ein bisschen auch ein Schreiberling, der sich in seiner Freizeit mit einer Monographie über den Gold Eagle abmühte. Dass er sich schon früh im besten Mannesalter finden würde, war ihm potentiell schon mit fünfzehn anzusehen gewesen, und jetzt, mit zweiunddreißig, war er voll erblüht.
    Ein Versprechen, das er Carl Heuman in grauer Vorzeit gegeben hatte, übertrumpfte jedoch Lennys Eid, nie einen Fuß in das Stadion von Flushing zu setzen. Der Junge hatte den Curveball gemeistert. Er war nur 1,78 groß, sein Fastball erreichte kaum je mehr als 135 km / h, und er trug eine Brille, aber sein Curveball knallte. Schlagleute an der Uni jagten ihn in den Dreck, holten mit ihren Schlägern bis zur Mannschaftsbank aus, um ihn zu erwischen, Lenny hatte alles schon gesehen. Carl Heuman konnte unmöglich schlechter sein als das, was sich die Mets da ’63 leisteten – die Verluste konnte er genausogut aufwischen wie jeder andere, den sie da draußen werfen ließen, oder? Nach zwei Jahren im Peace Corps hatte der Junge bei der Rückkehr auch seine kindlichen Pausbacken verloren – vielleicht hatte er sich in den Tropen einen Bandwurm eingefangen. Seine Mutter prügelte ihn nach seiner Rückkehr in die Zahnheilkunde, aber den Baseball vergaß er nie. Und Lenny hielt seine Versprechen.
    Also rief er den Firmenanwalt an, dessen Macht nur gewachsen war. Den mächtigen Shea. Fand Lenny bei ihm noch Gehör? Fand er. In der Woche, in der die Mannschaft aus St. Petersburg hochzog, um sich den neuen Laden mal anzuschauen, begleitete Lenny Heuman zum Eingang vom Clubhaus, konnte selbst kaum glauben, dass er es geschafft hatte, ließ sich dem Jungen gegenüber aber keine Unsicherheit anmerken.
    Die Türsteher an den Stadioneingängen und vor den Umkleiden leisteten keinen Widerstand, zeigten aber auch kein Interesse. Sie bestätigten, dass es auf ihren Listen einen Angrush gab und winkten die beiden achselzuckend durch. Ein Trainer zeigte ihnen, wo Heuman ein graues Auswärtstrikot mit einem »New York« auf der Brust anziehen konnte, etwas anderes hatten sie nicht in seiner Größe. Heuman legte die Brille weg, zog sich um, setzte eine Baseballmütze und dann erst die Brille wieder auf, und auch das nur zögernd. Dann führte der Trainer die beiden Männer durch den Tunnel und die paar Stufen hinauf, und schon standen sie unter dem Himmel über dem großen neuen Stadion, das wie ein angebissener Doughnut aussah, die Festung, zu deren Bau Shea und Rickey die Stadt gezwungen hatten, und einen Augenblick lang hatte Lenny das Gefühl, all sein Kummer stiege in den Himmel empor, über den gerade ein Düsenjet raste. Der Triebwerkslärm brach sich am Beton der Mannschaftsbank, dem Dreck und dem Gras. Die Mets waren im Außenfeld und am eingezäunten Schlagraum und machten Dehnübungen, Heuman wurde direkt zum Pitcherhügel geschickt und stand da hinter einem Schutzkäfig, so dass er werfen konnte, aber vor den Schlägen geschützt blieb. Der Trainer zog Lenny zur Foullinie zurück, stellte sich mit ihm an den Kreidekasten und sah zu. Heuman und der Fänger warfen sich ein paar langsame Bälle zu, dann kam ein Met im weißen Heimtrikot mit einem Schläger dazu. Heuman sah sich nicht nach seinem Wohltäter um, sondern ging ganz in seiner Aufgabe auf, seinem Augenblick.
    »Wer ist das?«
    »Der Schlagmann? Er heißt George Altman. Neuer Außenfeldspieler. Ist im Trainingslager aufgefallen.«
    »Kann er einen Curveball schlagen?«, Lenny konnte sich die Frage nicht verkneifen.
    »Die Million-Dollar-Frage.«
    Heuman warf fünfmal, bevor Altman einen Ball verfehlte. Danach fand Heuman seinen Rhythmus, und der Schlagmann machte sich dreimal in Folge zum Narren, aber der Trainer sah nicht hin.
    »Gut gemacht!«, brüllte Lenny, kam sich blöd vor, wollte die Zuschauer aber darauf aufmerksam machen, was sich vor ihren Augen abspielte.
    Altman schlug einen Ball ins Foul Territory, vielleicht auch einen Dreier in die Ecke, das konnte Lenny von seiner Warte aus nicht erkennen. Ein Balljunge mit Fanghandschuh rannte los und holte ihn. Die ganze Szene, überall herumfliegende Bälle und sprintende Spieler, war alles andere als ideal für eine Spielerbegutachtung. Carl Heuman stand ausgeglichen inmitten des Chaos, runzelte ehrlich

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