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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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heutigen Mission. Das Metallseil, das sie in sich gespürt hatte, schien sich als Strick um ihre Kehle zu legen und zwang sie nicht nur zu schweigen, sie bekam auch kaum mehr Luft. Denn jetzt erkannte sie, dass seine Rede ein Parteiauftrag, Teil eines Parteibefehls war. Das war nicht weiter überraschend. Und Ostrow und Samanowitz waren nicht nur Reiseführer, sondern Alberts Parteikontakte.
    Alberts Wunsch, das Autofahren zu lernen, sein wochenlanges führerscheinerpichtes Holpern über Bordsteine, auch das war ein Parteiauftrag gewesen. Und wenn sie das logisch weiterdachte, ging der gesamte Vorschlag, hierher zu ziehen, auf einen Parteiauftrag zurück, der nicht erst in den letzten Tagen ergangen war, sondern den er schon monatelang gekannt hatte, bevor er ihn ihr eröffnete. Sie hörte förmlich jedes einzelne Wort, als würde ihr das geheime Diktat jetzt ins Ohr strömen. Stell dir die Lage einer Stadt voller jämmerlicher Juden vor, umringt vom Argwohn der Krämerseelen, sie wären Rote, als bedeutete der Aufbau einer charmanten kleinen Farm und einer Fabrik schon eine landesverräterische Verbundenheit mit der Sowjetunion. Warum sollte sich die Stadt angesichts dieser Misere und dieser schrecklichen Schwäche nicht für die Stärke entscheiden, die ihr aus der Partei erwuchs? Warum nicht die Unterstützung wählen, die dann aus New York fließen würde und auch aus Regionen östlich von New York. Das war doch die Gelegenheit, Amerikas erste KP-Stadt zu werden!
    Und kein Wort von alldem war Rose kundgetan worden, obwohl ihr Platz in ihrer Zelle vorgeblich an Alberts Seite war.
    All diese Einzelheiten sickerten in das ein, was sie schon wusste: das, was eine Parteizelle von ihren Frauen verlangte. Im Alltag hatten sie grundsätzlich den Primärmythos zu bekennen und zu bestätigen, der da konstatierte, in der strahlenden Zukunft, auf die sie alle unermüdlich hinarbeiteten, wären die Trennungen und Ungleichheiten zwischen Mann und Frau mühelos überwunden. Bis es soweit war, zerstörte die Partei mit ihrer hinterhältigen Genialität jedoch routinemäßig die zarten Bande einer Ehe zwischen sogenannten Gleichen.
    Als wäre Albert imstande gewesen, solche zarten Bande überhaupt je zu knüpfen. Rose hatte da ihre Zweifel.
    »Ausgerechnet an diesem Tag –« Wovon zum Teufel redete der überhaupt? Dann setzte Rose Alberts Worte in Beziehung zu dem über seinem Podium angebrachten schlaffen Banner. Den ganzen Tag über hatte sie schon die Flaggen an Fahnenstangen und Terrassenvordächern gesehen, war jedoch nur leicht irritiert gewesen, was von der Erbitterung über das unnötige Beiwerk überdeckt wurde. Aber natürlich fand alles ausgerechnet an diesem Tag statt. Ihre Packard-Expedition korrigierte sich in ihrer Wahrnehmung ein letztes Mal, und Rose schämte sich, weil sie so begriffsstutzig gewesen war und deshalb hilf los beim dümmlichsten Ritual aller Zeiten mitgespielt hatte.
    Es war der 4. Juli.
    —
    Wenn es also der Wunsch der Partei gewesen war, dass sie in den Jersey Homesteads leben sollten, wie waren sie dann in Sunnyside Gardens gelandet?
    Sie hatten Roses Energie unterschätzt.
    Wenn die Absichten der Zelle Rose auch nur über das Geheimtelefon ihres Mannes übermittelt worden waren, so hatte sie ein R-Gespräch daraus gemacht. Sollte die Zelle doch ruhig über dasselbe Telefon von ihr hören. Nein. Eine schlichte Botschaft, für deren Entzifferung man kein sowjetisches Codebuch brauchte.
    Für Rose als eine Studentin des Nein war das eine Art Abschlussfeier, eine Dissertation mit einer Silbe. Ein Nein, das sie selbst entwickelt hatte, nicht mehr bloß das Nein ihres Erbes, das Nein ihrer Vorfahren. Damit machte sie sich nicht nur für Albert hörbar, sondern auch für irgendeinen Funktionär in Moskau, den man sich mit einer Muschel am Ohr vorstellen durfte, durch die er ihren Ehemann über die Weiten der Ozeane hinweg kontrollierte. Rose musste dafür sorgen, dass sich ihre Antwort gegen die Kraft eines Befehls durchsetzte, dessen historischeImperative sie selbst als gerechtfertigt akzeptierte, statt so zu tun, als gäbe es ihn nicht. Eine Weigerung besagte: Ich existiere nicht nur, um mich der gerechten Sache zu unterwerfen, sondern um in ihr zu gedeihen, und ich will keine Hühner.
    Dieses Nein war schon in Arbeit, bevor sie sich wieder auf der durchgehenden Sitzbank des Packard niedergelassen und ihren Gastgebern zum Abschied zugewunken hatten. Es war schon vor dem Ende von Alberts Rede in

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