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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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Arbeit. Für ihren Rednergatten und alle anderen deutlich sichtbar war Rose aufgestanden, hatte sich im kühlen Laubschatten auf das Trittbrett des Autos gesetzt und sich an die Lektüre eines Kapitels von Lincoln gemacht. Die sollten ruhig kommen und ihr erzählen, sie wäre dem Kommunismus oder dem Amerikanismus untreu geworden, weil sie den Schlamm, das Stroh und den Sonnenbrand verweigerte: Nein. In Roses Privatrecherchen, die aus den Volksfrontphrasen des Säuselmeisters da vorn etwas Wahres und Reales machten, blieb sie dem Kommunismus und dem Amerikanismus in einer Tiefe treu, an die kein Farmerspflug herankam, kratzte nicht nur an der Humusschicht, sondern grub den geheimnisvollen intellektuellen Wurzeln nach. Sandburg zitierte eine Passage aus Lincolns Rede zur Lage der Nation vom 3. Dezember 1861: »Arbeit war vor und ist unabhängig von dem Kapital. Kapital ist nur die Frucht der Arbeit, und könnte nie existieren, wenn es nicht zuvor Arbeit gegeben hätte. Arbeit steht über Kapital und verdient viel höhere Aufmerksamkeit …« Und das sechs Jahre vor dem Kapital.
    Wichtig war außerdem, dass die Präriejahre zuerst kamen, ihr Dummköpfe. Lincoln hatte die Blockhütten zugunsten der Städte und der Zivilisation hinter sich gelassen – nicht umgekehrt!
    Roses Abgang bei Alberts Festrede zum 4. Juli war also nur eine Ouvertüre. Bis auf einen neuerlichen Anpfiff wegen seiner Fahrweise fuhren sie schweigend aus den Homesteads nach New York zurück.
    »Du behandelst das Ding wie ein Maler.«
    »Welches Ding?«
    »Das Automobilpedal. Du näherst dich ihm mit federweichen kleinenPinseltupfern – in die Ecke hier noch ein bisschen mehr Blau, Señor Picasso.«
    »Ich möchte bezweifeln, dass Picasso beim Arbeiten einen Kritiker neben sich stehen hat.«
    »Eine stetigere Druckausübung könnte Yettas gehackter Leber bekömmlicher sein, die gegenwärtig ganz oben in meiner Kehle residiert.«
    »Hast du gar nichts zu meiner Rede zu sagen? Ich finde, sie ist ganz gut gelaufen.«
    Sie sah nur aus dem Fenster. Sollte Albert doch die Kraft des in ihrem steinernen Funkeln eingemeißelten Nein interpretieren, das Nein, das als Rauchzeichen aus ihren Ohren aufstieg. Ein Nein, das an diesem Abend und in den folgenden Wochen in ihre Semaphorenposen der Unverfügbarkeit im Ehebett eingeschrieben wurde. Sollte er das doch weitergeben. Genossen, im Kampf zwischen den Verlockungen der Hühner und der Aussicht darauf, dass sich die Beine meiner Frau nie wieder für mich spreizen, habe ich mich widerwillig, aber mit schwellender Entschlossenheit gegen Hühner entschieden.
    Auf dem Schlachtfeld ihres Nein gewährte Rose Albert dann einen flüchtigen Blick auf einen möglichen Kompromiss. Anders gesagt, einen Waffenstillstand zwischen ihr und den unsichtbaren Mächten, die nach Alberts Nutzen für die Partei suchten. Pass auf, erklärte Rose ihm rundheraus, wenn sie uns schon irgendwo implantieren, als Parteiwurm in die Knospe der Utopie einsetzen wollen, warum dann keine Utopie mit einer Skyline? Warum nicht an einem Ort, wo man ein Päckchen Zigaretten in Gehweite kaufen kann, bei Leuten, die Juden nur zu gerne Zigaretten verkaufen? Idealisten haben doch schon eine Vorstadt erbaut, eine Browns Homesteads ebenbürtige Stadt, warum also in Jersey stranden? Verstehst du nicht, dass städtische Rote nach Sunnyside Gardens ziehen?
    Genauso wie in den Homesteads wohnten in den Gardens geschichtsbetäubte Juden, deren Immigrationsreise eine Pause brauchte. Rose hatte sich mit dem Stadtteil schon vertraut gemacht. Einige mütterlicherseits mit ihr verwandte Angrushs wohnten dort, darunterRoses älterer Vetter Salman und seine Frau sowie ihr nach Lenin benannter verträumter Sohn. Ich wüsste ja gern, wie man den in den Schulen von Monroe aufgenommen hätte?
    Die Gardens waren sanktioniert als linkes soziales Experiment von Lewis Mumford und Eleanor Roosevelt. Wenn Mumford und Roosevelt nur rosa, nicht rot waren, war die Vereinnahmung von Rosa durch Rot dann nicht genau das, was die Volksfront bezweckte? Dass man sich in Gemeinschaften wie den Homesteads oder den Gardens mit den fortschrittlichen Strömungen Amerikas solidarisierte. Wie ein lüsterner Mann, der sagt, er suche nur Freundschaft, aber hast du nicht gesehen, schwatzt er dir auf dem Sofa die Kleider vom Leib, und neun Monate später ploppt das Proletariat raus! Warum also nicht in der Stadt bleiben? Sunnyside Gardens konnte gleichzeitig die Ablehnung, Umkehrung und

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