Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
denen ihr begegnet seid, und Überzeugungen wie denen, die wir heute feiern wollen – den Glauben an die Freiheit.«
Okay, dachte Rose. Der Tisch ist gedeckt, jetzt stell mal was zu essen drauf. Im Tischdecken war Albert großartig, aber man wurde bei ihmnicht satt. Immerhin kam er auf dem Podium zur Geltung, auf seiner hohen Stirn glänzte der Schweiß, und der klapprige Körper erblühte unter der Aufmerksamkeit der verstreuten Anwesenden. Sie öffneten sich ihm und dem Wesen der verlorenen Stadt, die er verkörperte. Der Zitadelle aus Kopfsteinpflaster und Sprache, voller Intelligibilität, und so arm sie dort auch gewesen sein mochten, es war doch ein Paradies im Vergleich zu der armseligen Pachtexistenz, in die sie gelockt worden waren.
Als Redner brachte Albert ein gewisses Talent mit, aber das hier war etwas ganz anderes, hatte nichts mit der Fähigkeit zu tun, einem in die Augen zu sehen und voller Überzeugung zu sprechen, oder mit Rose oder anderen, die seine Binsenweisheiten energisch hinterfragten, in den direkten Schlagabtausch zu gehen. Dort steckte sie ihn locker in den Sack. Hier, mit ein bisschen Abstand, konnte Albert einen kleinen Teil von Roses Respekt zurückgewinnen. Im Auto hatte ihn das Feld von Roses enttäuschtem Scharfsinn zu sehr verdunkelt. Hier, auf dem Podium, konnte sie seinen Charme wiederfinden, eine Mischung aus Redseligkeit und Vagheit.
Dasselbe galt im Schlafzimmer. Er hatte Rose geschwängert, als er es vermeiden wollte, weil es sie wahnsinnig machte, dass er ständig auf ihre Schenkel und ihren Bauch abspritzte, Umwege einschlug, wo es keine geben sollte, und sie ihn deshalb im entscheidenden Augenblick zu lange an sich gedrückt hatte. Wenn er jetzt versuchte, den ersten versehentlichen Erfolg zu wiederholen, der ihre Heiratspanik ausgelöst hatte, wenn er den emsigen Wunsch hatte, sie und ihre Schwestern und seine Mutter mit der Mitgift seines Samens zu beschwichtigen, erschien Albert Rose als ein Mann, der unsichtbar wurde, sobald er den direkten Weg einschlug. Außer Umwegen hatte er nichts vorzuweisen. Wenn er direkt in ihr kam, konnte sie ihn kaum spüren, und sein Samen erreichte in ihr kein Ziel, sondern verschwand wie bei einem Taschenspielertrick.
Albert flackerte in Roses Begehren wie ein Radio, das immer wieder den Empfang verliert.
»Ich möchte euch etwas fragen: Welche Nation besitzt ein reicheres Erbe an revolutionären Kämpfen für die Freiheit der Menschen als unsere eigenen Vereinigten Staaten? Und doch ist das im Erz der amerikanischen Geschichte so überreichlich vorhandene revolutionäre Gold wie die materiellen Schätze des Kapitals selbst von den Kräften der Reaktion gehortet worden. Daher ist das revolutionäre Lager von Anfang an außerstande gewesen, sich als Teil der amerikanischen Tradition zu begreifen. Daher sind eure Homesteads so ein herzerfrischender Wegweiser, daher kämpft ihr – auch wenn es euch nicht immer bewusst ist, auch wenn ihr die Köpfe über eure Feldarbeit beugt und das Gefühl habt, euch kaum über Wasser halten zu können – für weit mehr als nur eine Fabrik oder eine Farm. Und auch für weit mehr als eine neue, auf dem Lande erbaute Stadt, nämlich für den strahlenden Ausblick auf den materiellen Kommunalimus für alle Menschen dieses Landes, auch für jene, die euch verdächtigen und denunzieren und denen Vorurteile den Blick auf die Freiheit verstellen. Deshalb bin ich heute hier und möchte euch mit meiner Bewunderung ehren und euch den Zuspruch derer überbringen, deren Bewunderung ihr aus der Ferne vielleicht nicht spüren könnt. Ausgerechnet an diesem Tag.«
Sag es, Albert, nun trau dich endlich und sag es schon. Erklär ihnen, dass es sie zu Aktivisten macht, wenn sie von ihren Kartoffeln den Dreck abkratzen.
»Kommunismus ist der Amerikanismus des 20. Jahrhunderts.«
Protestierte irgendeiner der auf den Decken drapierten und in der Sonne erschlafften Körper gegen den müden Slogan? Unterbrach man ihn mit der Forderung, Jiddisch zu sprechen oder ihnen Nahrhafteres als Rekrutierungsideologie aufzutischen? Nein, sie waren gelähmt von seinen Schmeicheleien. Obwohl Rose annahm, dass manch einer hier von einem Zynismus zum Schweigen gebracht wurde, der ihrem eigenen glich. Als jetzt nämlich das überschwängliche Arrangement aller verfügbaren Volksfrontklischees aufgeboten wurde, stieß das Rose nicht nur von Albert ab, wie es sie kurze Zeit zu ihm hingezogen hatte,es korrigierte auch die Gründe ihrer
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