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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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bisschen schwermütig findet? Vielleicht ist das das Wort, das mir auf der Zunge lag.«
    »Schwermütiger als ›The Lambs on the Green Hills‹, meinst du?«
    »Na schön, aber ›Lambs‹ ist ein Traditional. Dein Song da ist nicht so unser Ding, oder? Ein feines, eigentümliches Stück hast du da geschrieben, Tom. Bluesartig, ohne wirklich ein Blues zu sein.«
    Rye bekam wieder Oberwasser und setzte noch eins drauf: »Und vielMelodie hat’s auch nicht, mal abgesehen von deinem dauernden Geklimper. Wir brauchen keine Gitarre in unserer Gruppe.«
    »Du kannst mich mal, Rye.«
    »Oh, diese dichterische Begabung! Die Muse reinster Prosa hat unseren Bruder geküsst, Petey-o.«
    Hinter der stolz hochgehaltenen egalitären Fassade hatten die Gogan Boys einen Chef – den Ältesten, auch wenn er gern den Trottel gab. Mit Ausdrücken wie schwermütig gab Petey seine Anweisungen. Der Bann über »A Lynching on Pearl River« war verhängt. Als Tommy einem Publikum endlich mit einer Gitarre um den Hals gegenübertreten durfte, war Mack Parkers Tod vergessen, und Tommy Gogans schwermütiger Song war auch begraben.
    Aber in den Monaten danach lernte Tommy dazu. Er achtete sorgfältig darauf, seine Songtexte in den Melodien der moosigsten Balladen zu verankern, so vertraut, dass sie seine Brüder betörten, bei den Refrains die Harmonien zu singen. Peter ließ ihn bis weit in ihr Set hinein warten – in seiner Zählung oft drei Pints weit – und leitete Tommys von ihm sogenannten »Fischeinwickelsongs« mit einer Tirade seiner verworrenen Privatpolitik ein.
    Und so wurde der Ernste zu dem Protestler. »Der thematische Tommy«, wie sie ihn nie vergessen ließen. Doch trotz ihrer Sticheleien merkten Peter und Rye nur zu gut, dass er ihre Konzerte auf Vordermann brachte. Als seine Songtexte auf den ersten vervielfältigten Flugblättern auftauchten, als die Gogans auf ihren ersten Benefiz-Konzerten auftraten, schlugen sie Brücken von ihrem Stammpublikum – Jazztraditionalisten, die aus den Bebop-Kellern flohen, Opfer des Touristennepps im Café Bizarre – zu den Idealisten, Sit-in-Sympathisanten, für die die nächste segregierte Woolworth’s-Filiale zu weit weg war, blauäugige Mädchen, die auf John Glenn und Senator Kennedy standen. Sie wollten Tommy »Khrushchev’s Shoe« und »Sharpeville Massacre« und »Talkin’ Gary Powers Blues« singen hören, diese Mädchen. Also bekam Tommy mit einer gewissen Verzögerung, weil er sich erst zum Goldjungen machen musste, bevor er sich eine goldeneNase verdienen konnte, ein bisschen von dem ab, was Rye ihm verheißen hatte. Tommy wurde ein bisschen zum Schürzenjäger. Tommy brach ein paar Herzen. Tommy gab den Wünschen eines Mädchens namens Lora Sullivan nach und ließ sich von ihr die albernen Koteletten abnehmen, und nachdem er sein schmuckes Gesicht im Spiegel gesehen hatte, verließ er Lora Sullivan binnen vierundzwanzig Stunden, ein Fall von Arschlöchrigkeit, dessen sich Rye vielleicht gerühmt hätte, der aber von Tommys Liste seiner Gründe zum Selbsthass nie ganz gestrichen wurde.
    Ein Jahr lang genoss der thematische Tommy seinen Platz an der Sonne, bis ihm die Fischeinwickelsongs nicht mehr ganz so leicht aus der Feder flossen. Tommy wurde von amerikanischen Stimmen überholt, Liedschmieden mit einem Anrecht auf die Materialien, die er nur borgte, Männern, die sich nie im Leben in Brokatwesten hätten fotografieren lassen, sondern ausschließlich in Lammfelljacken, während sie auf Dächern standen und in den Himmel blinzelten, Männern, in deren Gegenwart er, obwohl definitiv älter als sie, ebensowenig ein Wort herausbekam wie bei seinen Brüdern, für die er immer das Nesthäkchen blieb.
    Gewissermaßen aus übertriebener Dankbarkeit dafür, dass er überhaupt da oben stehen durfte, grinste und schmeichelte Tommy von den Bühnen herab und blieb der ewige Gogan Boy, egal ob er von der Großen Hungersnot nach der Kartoffelfäule sang, von Dammbrüchen oder vom elektrischen Stuhl. Aus Respekt, wie seine Mutter das genannt hätte, und zur Erinnerung an seine Maurertage trug er immer noch eine Krawatte, weil er das Gefühl hatte, einen echten Arbeiter zu kränken, wenn er dessen Kleidung angenommen hätte.
    Die neuen Sänger, die jetzt überall auftauchten, kannten keine solchen Skrupel. Egal wo sie herkamen oder eben nicht, sie zeigten sich mit Leinenmütze und finsterem Gesicht.
    Die konnte nichts aus der Ruhe bringen.
    Tommy fragte sich, ob er Manns genug

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