Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Gitarrenstunde sie langweilte (wie sie auch Tommy langweilte, denn der Reverend ging mit Van Ronk und Kornfeld hundertmal dieselben Griffwechsel durch, und Tommy hatte keine Gitarre mitgebracht und fühlte sich entmannt, wenn auch vielleicht nicht so entmannt, wie er sich gefühlt hätte, wenn er die Fingersätze des alten Zauberers nachzuspielen versucht hätte), hatte sie sich bei Missus Annie und den Männern entschuldigt, behauptete beharrlich, die Hochbahn würde fahren, und sie kenne den Weg, und ob Tommy sie allenfalls begleiten würde. Tommy würde, ja.
Die beiden rutschten und schlitterten zusammen über die verklumpten Gehwege, durch den Himmel stoben Wahnsinnsflocken und schmolzen in der Hitze ihrer Wangen, Zungen und Hände oder sanken auf ihre Mäntel. Inzwischen hatte sie soviel geredet, dass er nicht mehr wusste, wo ihm der Kopf stand, kein Land mehr sah. Noch bevor er fragen konnte, hatte sie schon gesagt: Ja, ich weiß, wer du bist. Ich habe dich singen sehen. Hatten sie sich schon mal getroffen? Das konnte er sich nicht vorstellen, hatte aber Angst, sie im Tunnelblick des Bühnengefühls vergessen zu haben, der Verunsicherung, die ihn im Beisein seiner Brüder oft überkam. Nein, sie hatten sich noch nicht richtig getroffen. Aber sie kannte ihn. Und jetzt kannte er sie. Miriam Zimmer.
Sie sagte, ich weiß, wer du bist. Als hätte sie, wenn sie Tommy Gogans Namen kannte, auch Kenntnisse über die Person, die diesen Namen trug, Kenntnisse, die er selber nicht hatte.
Und indem sie so tat, als wäre es so, machte sie es so.
Schon an dem berühmten Tag im Schnee, als sie ihn zu Peters Wohnung zurückbrachte, sie einen Joint rauchten, den Obdachlosen eine Kanne Kaffee kochten und sie ihm erklärte, wie die Bowery zu ihrem Namen gekommen war.
Die Hochbahn fuhr auf ihren Gleisen, wo sich der Schnee sammelte, nur im Schneckentempo, und ihr Waggon war völlig leer, während die Züge, die in Gegenrichtung vorbeiruckelten, mit schneeverängstigten Werktätigen vollgestopft waren, die nachmittags um drei, solange es noch ging, von der Insel flohen, als wäre Manhattan von einer Wasserstoffbombe getroffen worden und nur Narren würden zu ihr rüberfahren, und als sie in den Tunnel einfuhren, war die Skyline ausgelöscht, aus Weiß wurde Schwarz, und immer noch trug sie ihre Sonnenbrille, und er wusste nicht, ob er je die Chance bekommen würde, ihre Augen zu sehen.
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Er hatte schon zwei- oder dreimal gekifft, und es war nicht direkt eine Offenbarung gewesen, anders als an diesem Tag, aber was war an einem solchen Tag der Offenbarung das Huhn und was das Ei? Zur Verteidigung gegen den Ansturm hatte er nach seiner Silvertone gegriffen, seine linkische Zunge mit ein paar Barrégriffen unterstützt, weil es nicht von Vorteil war, sein Fingerpicking gegen das des Reverends auszuspielen. Gott sei Dank war Peter weg, keine Ahnung wo. Es wurde dunkel, fast bevor sie oben angekommen waren, aber sie zündeten nur die Kerzen in Peters Leuchter an. Miriam legte ihrer beider Schuhe auf den knackenden Heizkörper, tastete sich zum Vorratsschrank, entkorkte eine Flasche Wein, die sie dort entdeckte, und schenkte zwei Saftgläser halbvoll. Der Joint tauchte aus ihrer Handtasche auf, als hätte sie alles so geplant, diese Flucht, dieses halbe Kidnappen. Sie gab sich an einer Kerze Feuer. Sie hatten sich schon geküsst, alles andere noch nicht eingelöst, aber verheißen, auf der Schneematschstrecke von der Subway her, schwer zu sagen, wer angefangen hatte, als ihre rutschendenFüße sie kollidieren ließen. Drinnen nicht, wo Sofa, Sessel, Männerkörper mit ausgezogenem Mantel, Frauenkörper mit ausgezogenem Mantel, Tisch zwischen ihnen, Tür für mögliche Auftritte oder Abgänge, alles in konkretem und schmerzhaftem Abstand dastand und bewusst umgangen werden musste oder nicht. Seine Haut machte sich unter dem Risiko selbständig, reagierte hypersensibel auf ihre Anwesenheit, das Kohlensäureprickeln, mit dem eingeschlafene Gliedmaßen wieder aufwachten, die Angst davor, dass der Zeiger der Uhr auf ein Ergebnis zurückte.
»Das ist der erste Song, den ich je geschrieben habe«, sagte er und strummte die Eröffnungsakkorde von »A Lynching on Pearl River«. Tommy hoffte, der Aufmerksamkeit der unerreichbaren Jüdin etwas zurückzugeben, indem er seine Schritte zurückverfolgte, die heikle Konstruktion einer von den Gogan Boys unabhängigen Person. Sie musste zwar ein Fan sein, benahm sich aber anders als alle Fans,
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