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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Erinnerung an ihre Collegezeit: die von den Nadeln zerstochenen Fingerkuppen, die Hand, die vom stundenlangen Stoffschneiden schmerzte, die hübschen Decken, Vorhänge und Röcke, die sie schneller anfertigte als alle anderen.
    Ein Kind rattert mit einem Metallbecher am Fenstergitter entlang, aber Kawsar sieht nicht hin. Seit Kurzem spähen fremde Kinder zaghaft zu ihr herein, sie sind sich nicht sicher, ob die Gerüchte über eine Hexe, die nie ihr Haus verlässt, wahr sind. Sie johlen durchs Gitter und rennen weg, spucken und werfen Steinchen gegen das Fenster. Sie sind die Wiedergeburt all jener Kinder, die gezeugt wurden, um alte Frauen zu plagen; jede Generation bringt ein neues Regiment hervor, geboren, um den Lebenswillen der ohnehin schon Verzweifelten auszulöschen; sie wiederum sind dazu verdammt, stets acht Jahre alt zu bleiben, den Mund voller großer, neuer Zähne, das verwirrte Herz berstend vor Bosheit und Angst. Es sind wahrscheinlich nicht die Nachbarskinder – sie hätten sich nicht so schnell gegen sie gewandt –, es müssen Kinder aus anderen Vierteln sein, die fern von zu Hause ihren Schabernack treiben und wieder heimwärts rennen, ehe ihre Mütter sie vermissen.
    Kawsar fällt die lumpentragende Witwe ein, die hinter dem Haus ihrer Kindheit in einer Holzhütte wohnte, geschwätzig trotz der Isolation, in der sie lebte, die kleinen Jungen, die sie verspotteten und Steine nach ihr warfen, im Glauben, das Murmeln sei ein Zeichen, dass sie verrückt oder besessen wäre. Wie Kawsar jetzt, war sie einzig von ihren Erinnerungen besessen, von Ereignissen aus der Kleinkinderzeit bis zu jenem Tag, an dem sie sich aufgelehnt hatte.
    „
Naayaa
, Kawsar!» Dahabo bollert gegen die Tür.
    «Mach auf!», ruft Kawsar schnell in Richtung Küche.
    Nurto eilt heraus, die Hände rot vom Tomatensaft, ihre nackten Füße patschen und rutschen über den Boden. Sie reißt die Tür auf und rennt wieder zurück in die Küche, meidet dickköpfig Kawsars Blick.
    Dahabo beugt sich vor und küsst Kawsar auf die Stirn. «Sieh dir mal die vielen Papierstücke in deinem Fenster an.» Sie deutet nach oben.
    «Das sind Opfergaben, Gebete. Hast du nicht gewusst, dass ich hier im Viertel eine Heilige bin?» Ungefähr fünfzehn Kaugummi- und Bonbonpapierchen sind dünn zusammengerollt durch den Maschendraht geschoben worden, als wäre ihr Haus ein Heiligenschrein.
    «Diese Bengel! Haben beinahe das ganze Ding ruiniert!»
    «Lass ihnen doch ihren Spaß.»
    Dahabo entfernt die Einwickelpapiere, an die sie herankommt. «Du weißt, dass die Ausgangssperre jetzt auf vier Uhr nachmittags vorverlegt ist, wenn es draußen noch hell ist?»
    «Wann haben sie das denn verkündet?»
    «Gestern auf dem Markt, bevor wir zugemacht haben.»
    «Mit welcher Begründung?»
    Dahabo drückt die Papierchen zusammen. «Nachdem, was im Souk erzählt wird, sieht es so aus, als würde das NFM die Städte noch vor Monatsende angreifen.»
    «Das ist bloß Gerede, das sagen die Leute doch seit Jahren.»
    Dahabo setzt sich auf die Bettkante. «Nein, Kawsar, diesmal ist es etwas anderes. Im ganzen Land erheben sich die Rebellen gegen ihn. Wenn er untergeht, wird er das ganze Land mit sich reißen, er will, dass wir alle neben ihm im Grab liegen wie bei einem dieser Pharaonen. Meine Töchter sind in Panik, sie wollen ihre Kinder rausschaffen», sagt sie leise. «Jawahirs Mann hat für uns alle Visa organisiert, wir sollen zu ihm nach Dschidda kommen.»
    Kawsar traut ihren Ohren nicht, Dahabo soll das noch mal wiederholen; und erneut trifft sie das «wir» wie ein kleiner Brandsatz. «Warum musst du denn gehen?», fragt sie. Es hat ihr beinahe die Sprache verschlagen.
    Dahabo wendet Kawsar das Gesicht zu und sieht ihr in die Augen. «Was bliebe mir noch ohne sie?»
    Kawsar wird die Freundin nicht kampflos ziehen lassen, wird Besitzansprüche anmelden. Sie wird schreien, ihre Habseligkeiten verstreuen und ihre Kleider zerreißen. «Und was bleibt
mir
ohne dich?»
    Zärtlich umfasst Dahabo Kawsars Kinn. «Komm mit. Lass diese Gefängnisschuhschachtel zurück und komm mit. Auch du bist meine Familie.»
    Kawsar stellt sich die Einzimmerwohnung in Dschidda vor, die Matratzen werden tagsüber an die Wand gelehnt, Kinder rennen herum, und es herrscht ständiges Chaos, aus der Küche dringen die Streitgespräche zwischen drei oder vier Generationen. Sie kann ihre letzten Monate nicht stumm und unwillkommen wie eine Kröte in einem Klohäuschen verbringen, all dies im

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