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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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geholt hätte, ehe er die geballten Fäustchen sinken ließ und den Kampf verloren gab. Ihn zu begraben, war schwierig gewesen; er hatte Zehen, Fingernägel, einen vollen Haarschopf, verquollene Augen, die eindeutig die Form der ihren angenommen hätten. Farah reagierte feindselig auf das Bündel im Leichentuch, weigerte sich, es anzusehen oder zu berühren. Kawsar blieb im Bett, drückte es zärtlich an ihre Brust, während Farah nach einem Arzt rief, der ihren Blutfluss stoppen sollte. Als der italienische Geburtshelfer schließlich in der Tür stand, sah sie wächsern aus, ihre feuchte Haut war so kalt wie die des Kindes, und sie war so von ihrem gewohnten Denken und Verhalten abgekoppelt, dass sie ohne Murren die Beine öffnete und den Fremden alles sehen ließ. Er stocherte und schnitt und nähte, währendIbrahim mit offenem Mund neben ihr zu dösen schien. Als der Italiener ihn untersuchen wollte, weigerte sie sich, drückte den Säugling an ihre Brust, und ihre Nägel durchbohrten seine Haut. Sie erinnert sich an Wehklagen und Schreie, sie selbst aber blieb stumm. Zwei Tage später, als Farah nicht da war, Blut und Flüssigkeit nicht mehr schimmerten und in Ibrahims Haar versickert waren und seine Lippen eine dunkelgraue Farbe angenommen hatten, raffte Kawsar die befleckten Tücher um ihre Hüfte und patschte mit bloßen Füßen in den Hof. Mit den Händen grub sie ein Loch in den sandigen Boden, ihre Nägel splitterten und brachen ab, und sie hörte erst wieder auf, als sie einen schmalen, zwei Fuß tiefen Graben ausgehoben hatte. Am Wasserhahn in der Küche füllte sie einen Eimer und wusch Ibrahim, beließ ihm die bunte, selbstgestrickte Decke und bettete ihn sanft hinein. Sie sprach das Totengebet und glättete vorsichtig die Erde über der Decke; es dauerte lange, bis die violetten, roten und rosa Quadrate unter dem Braun der Erde verschwunden waren. Farah war am späten Nachmittag zurückgekehrt. Er warf einen Blick Richtung Bett, fragte aber nicht, was vorgefallen war; schweigend setzte er sich auf seinen Stuhl und las die Zeitung, während sie mit zur Wand gedrehtem Kopf zu schlafen vorgab. Er wärmte einen Rindfleischeintopf auf, den er in seinem schmuddeligen Stammcafé gekauft hatte, zu dem nur Männer Zutritt hatten, und stellte eine Schüssel neben sie. Seine Finger strichen über ihren Oberarm. «Kawsar, du musst essen, damit sich dein Blut wieder regeneriert, du hast so viel davon verloren, du brauchst Eisen», sagte er und versuchte, ihren Kopf zu sich zu drehen.
    Sie entzog sich ihm, murmelte etwas; der Geruch des Eintopfs drehte ihr den Magen um. Ihr eigenes wundes Fleisch war erst vor ganz kurzem aufgeschnitten worden, sie konnte sich vorstellen, wie es gewürfelt, geklopft und gewürzt wurde. Aus ihren steifen geblümten Laken drang schwerer Abdeckereigestank. Farah hielt Abstand, im Raum wimmelte es von grünäugigen Fliegen. Ein Baumwolllappen triefte zwischen ihren Schenkeln vor dunklem, schwarz geronnenem Blut, und alle paar Stunden ersetzte Farah zaghaft tastend den Lappen, ging rasch ins Bad und wusch sich lange die Hände. Wenn er zurückkam,rochen seine Finger nach Desinfektionsmittel. Bestimmt verglich er sie mit anderen Frauen, sauberen Frauen, die ein gesundes, dickwangiges Baby nach dem anderen bekamen, ein paar Stunden nach der Entbindung aufsprangen und die nächste Mahlzeit kochten. Mit jeder Fehlgeburt, jeder Totgeburt wurde das Gespenst einer Zweitfrau realer. Bestimmt zeigten ihm seine Verwandten schöne junge Mädchen mit vollen Brüsten und breiten Hüften und flüsterten ihm ins Ohr: «Warum nicht? Warum nicht?» Ja, warum eigentlich nicht? Sie könnte sich eventuell mit um das Kind der Halbwüchsigen kümmern – es baden, neben ihm sitzen, wenn die junge Frau mit Freundinnen zum Souk ging, ihm über die dicken Wangen streicheln, wenn es im Schlaf wimmerte.
    Nachdem Hodan gestorben und auf dem verfallenen Friedhof in der Stadt beerdigt worden war, hatte sie sich wie rasend auf ihren Garten geworfen, Leben in jeden freien Zentimeter gerammt, die Nägel abgebrochen und schmutzrandig, und an den Knien hatten ihre
dirics
immer braune Flecken. Sie hatte jede Blume gepflanzt, die sie kannte, und von einigen, die sie nicht kannte, Ableger genommen und sich in den einst von den Engländern angelegten Gärten bedient; statt Trauergeschenken brachten die Nachbarn ihr Samen, weil sie meinten, sie sei übermäßig besorgt, ob sie sich im Alter wohl hinreichend selbst versorgen

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