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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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hat dir das hier gebracht.» Sie stellt den Korb aufs Bett.
    «Warum hat sie mich nicht geweckt?»
    Nurto zuckt die Achseln und geht in die Küche zurück.
    «Hör gefälligst zu, wenn ich mit dir rede, du kleine Hure.»
    Bei dieser Beleidigung bleibt Nurto stehen, und ihr Blick wandert zu Kawsar, ihr Körper bleibt unbewegt.
    «Bring diesen Plunder in die Küche zurück.» Kawsar nimmt den Korb und schiebt ihn mit Schwung über den Boden, dabei kippt der Inhalt – Datteln und Hackfleisch mit
Ghee –
auf den staubigen Beton.
    «Alte, hast du den Verstand verloren? Gutes Essen einfach so auf den Boden zu schmeißen, und ich soll’s dann auffegen! Glaubst du vielleicht, ich bin deine Sklavin, oder was?» Nurto greift den Henkel, setzt sich den Korb auf die Hüfte und knallt die Tür hinter sich zu.
    «Schlampe!», stößt Kawsar hervor.
    Hinter der grünen Tür sieht sie nicht Nurto, sondern Dahabo.
    Was für ein kühles Verhalten, als kennten sie einander kaum, hat Dahabo einfach den Korb hingestellt und ist davongeschlichen. Und dieses Verhalten von einer Frau, der sie nach ihren Geburten die Laken gewaschen hat und umgekehrt. Was kommt als Nächstes? Wahrscheinlich müssen sie sich offiziell zum Tee verabreden, wie das früher die Engländerinnen taten. Die alte Dahabo hätte sie wachgerüttelt oder sich aufs Bett gesetzt und einfach losgeplappert. Was nutzte ein Korb ohne Gespräch? Ist sie über Nacht zur Bettlerin geworden? Hat sie, in deren Familie Dahabos Mutter früher Dienstmädchen war, Almosen nötig?
    Kawsar steigt die Zornesröte ins Gesicht. Ihre Spucke schmeckt bitter und bleibt in der Speiseröhre stecken; sie trinkt die Tasse Wasser leer, die auf dem Nachttisch steht.
    Am liebsten würde sie aus dem Bett springen und die Tür verbarrikadieren, mit Brettern vernageln, bis niemand mehr hindurchkommt, als Warnung und Zurechtweisung für jene, die sie bemitleiden, die es wagen, sie für eine Bettlerin zu halten, eine Bedürftige, eine Frau ohne Namen, ohne Ansehen.
    Dunkelheit breitet sich über ihre Augen wie schwarzes Öl. Beim Aufwachen rannen ihr dicke Tränen über die Wangen, im Kopf hatte sie ein dumpfes Gefühl, als hätte sie schon seit Längerem geweint, aber ohne sich an den Grund erinnern zu können. Nurto hat die Petroleum-
Feynuus
angelassen, und im Haus stinkt es nach abgebranntem Docht. Wie viele Wohnungen sind wegen derartiger Nachlässigkeiten schon abgebrannt?
    Nurto schnieft in ihr Kopfkissen, murmelt unverständliche, aber nach Rechtfertigung klingende Worte vor sich hin. Sogar in ihren Träumen streitet sie und ist widerborstig. Durch den Raum flattern die Schatten großer Nachtfalter, knallen wie Gefangene gegen die Fliegengitter vor den Fenstern; es sind unheimliche Geschöpfe auf der Suche nach Licht, nur um sich dann darin zu opfern. In Vollmondnächten, wenn alles in bläulich weißes Licht getaucht ist und selbst die Blätter an den Bäumen scharfe Umrisse haben, ist das Gesicht des Mondes vonMillionen schwirrender Pünktchen verdunkelt, die sich gegenseitig anrempeln, als machten sie ein Wettrennen zum Himmel; ihr Hunger, ihre Zielstrebigkeit haben etwas Hingebungsvolles und erinnern sie an die Koransure, die Allah mit einer Lampe und seine Gläubigen mit Nachtfaltern vergleicht. Vielleicht ist der sagenhafte Baum im Mond das Ziel der Nachtfalter; jener einzigartige Baum, dem bei jeder Geburt ein Blatt wächst – wenn es fällt, endet das mit ihm verbundene Leben. Ihr eigenes Blatt muss am dünnsten aller Fäden hängen, den selbst der Flügelschlag eines Nachtfalters zerreißen könnte.
    Die Bäume in ihrem Garten waren aus dem Tod geboren; sie markierten die sterblichen Überreste ihrer Kinder und wuchsen aus ihnen hervor. Nie verarbeitete sie deren Früchte, das wäre eine Form von Kannibalismus gewesen; aus diesen weichen, formlosen Gebilden waren große, kräftige Bäume mit fester Rinde geworden, die blühten, Vögel auf ihre Zweige kommen ließen und deren Äste über die Gartenmauer in die Welt nach draußen kletterten. Die Säuglinge im Garten hatten alle einen Namen, das Geschlecht war manchmal erkennbar gewesen, manchmal nur vorstellbar. Der größte war Ibrahim, ein beinahe perfekter kleiner Junge, auf dessen runden, gummiartigen Gliedern lauter helle Haare sprossen. Sieben Monate hatte er in ihrem unwirtlichen Schoß überlebt. Müde war er, seine Stirn tief gefurcht, und sie meinte gesehen zu haben, wie er einmal tief und schicksalsergeben in ihren Armen Atem

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