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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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von Bohemund II. im Anmarsch war.
    Auch wenn die Zitadelle von Anavarza nicht so üppig war wie jene von Antiochia, so war der Palast der armenischen Fürsten doch ein beeindruckender Anblick. Obwohl die armenischen Fürsten offenbar den Ehrgeiz aller edlen Familien zu teilen schienen, so zeigten sie doch eine gewisse Zurückhaltung, was die Ausstattung der königlichen Residenz betraf - oder ihre Mittel waren einfach nicht so groß wie die anderer Geschlechter. Vielleicht aber hatten sie auch nur Besseres mit ihrem Geld zu tun, als es für überflüssigen Luxus auszugeben. Wie auch immer: Ich jedenfalls empfand die Schlichtheit meiner Umgebung als erfrischend.
    Die Wände der Kammer zum Beispiel, die Padraig und ich uns teilen sollten, waren rubinrot gestrichen, während die Decke dunkelblau war, durchsetzt mit goldenen Scheiben. Niemand hatte sich hier die Mühe gemacht, die Deckenbalken zu verbergen; im Gegenteil, sie waren sogar leuchtend grün hervorgehoben. Als ich mich in jener Nacht zur Ruhe legte, kam es mir so vor, als blicke ich durch das Blätterdach eines Waldes in den sternenübersäten Nachthimmel empor.
    Aber noch war es nicht so weit. Kaum waren wir angekommen, da setzte uns der Kammerherr davon in Kenntnis, dass Herr Tho-
    ros uns in seinem Empfangszimmer erwarte. Wir spritzten uns etwas Wasser ins Gesicht und wischten uns den Staub der Straße aus Haaren und Kleidung; dann folgten wir dem Diener.
    »Du musst ihm sagen, dass Bohemunds Angriff unmittelbar bevorsteht«, erinnerte mich Padraig. »Sie brauchen Zeit, sich darauf vorzubereiten.«
    »Natürlich«, stimmte ich ihm zu.
    »Sofort«, beharrte der Mönch.
    »Mach ich ja.«
    Durch die inneren Gänge des Palastes wurden wir in einen gemütlichen Empfangsraum irgendwo jenseits der Haupthalle geführt. Thoros erwartete uns dort allein; er stand an einem Tisch und mischte Wein mit Wasser.
    »Kommt herein! Kommt herein!«, riefThoros und füllte zwei große, goldumrandete Silberbecher mit Wein. »Ich dachte, ein Schluck Wein würde Euch den Staub der Straße aus den Kehlen treiben«, sagte er und drückte Padraig und mir je einen Becher in die Hand. Nach den entsprechenden Begrüßungsritualen - die Thoros auf Armenisch abhielt -, lud er uns ein, uns zu ihm zu setzen.
    »Mit Vergnügen, Herr«, erwiderte ich. »Ich wollte ohnehin noch vor dem Fest mit Euch reden.«
    Kurz nach uns erschien Nurmal in der Tür. »Setzt Euch zu uns, mein Freund! Wir wollten gerade den Willkommensbecher leeren.«
    »Nichts würde mich mehr freuen«, erwiderte Nurmal, und sein weißer Schnurrbart zuckte vor Vergnügen. »Es ist schon viel zu lange her, seit wir zum letzten Mal zusammengesessen haben.«
    »Nicht lange genug, als dass ich vergessen hätte, dass ich Euch eine Menge Geld schulde«, erwiderte Thoros. Reumütig schüttelte er den Kopf. »Ich muss Euch nicht erzählen, dass es in den vergangenen zwei Jahren hier sehr schwierig geworden ist.« Vor Kummer zog er die Mundwinkel nach unten, und starrte verzweifelt in den Becher, den er in seinen großen Händen hielt. »Die Ernte ... der Handel.«
    »Unsinn!«, spottete Nurmal gut gelaunt. »Ihr habt eine gute Ernte gehabt - nein, eine hervorragende Ernte! Hervorragend - und das drei Jahre in Folge. Und auch der Handel war nie besser. Armenien platzt förmlich vor Schätzen!«
    Da Nurmal seine kleine Lüge durchschaut hatte, grinste Thoros verschämt und blickte mich unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an. »Seht Ihr? Ich habe Euch ja gesagt, dass nichts östlich des Taurus geschieht, ohne dass er es weiß.«
    »Ich bin nicht hierher gekommen, um mich von Euch auszahlen zu lassen«, erklärte Nurmal. »Doch wenn es Euer Gewissen beruhigt, mich zu bezahlen, so wäre ich selbstverständlich bereit, jedwede Summe anzunehmen, die Ihr entbehren könnt, um Eure längst vergessene Schuld zu begleichen.«
    »Ha!«, rief Thoros und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ihr seid ein guter Kerl, Nurmal. Das habe ich schon immer gesagt. Habt keine Furcht: Ihr werdet Anavarza nicht mit leeren Händen verlassen.«
    Herr Thoros, so beschloss ich, ähnelte einem großen, struppigen Bär, der nicht nur wild war, sondern auch etwas von einem Kind an sich hatte. In seinen großen dunklen Augen und seinem offenen Gesicht war noch nicht einmal ein Hauch von Tücke zu erkennen. Seine Gefühle vermochte man ihm deutlich im Gesicht abzulesen.
    »Vor kurzem erschien Jordanus Hippolytus in Begleitung dieser guten Männer vor meiner

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