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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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Armenier sind ein großzügiges Volk. Sie werden euch mit Sicherheit reich belohnen.«
    »Wir haben nur getan, was jeder getan hätte«, erwiderte ich. Noch immer kämpfte ich mit dem Gefühl, dass Thoros trotz all des Dankes und des Lobes sich mehr um seinen Wein sorgte als um die Bedrohung, die wie ein Schwert über seiner Stadt schwebte. Sein Volk war in Gefahr, und all seine Gedanken galten der Vorbereitung eines Festes. Noch vor wenigen Augenblicken war es mein größter Wunsch gewesen, Bohemund und die Fürsten von Armenien versöhnt zu sehen; nun jedoch konnte ich nur noch daran denken, die zum Untergang verdammte Stadt Anavarza so rasch wie möglich zu verlassen, bevor der Emporkömmling Bohemund vor ihren Mauern erschien und sie in einen Trümmerhaufen verwandelte.

    fadraig und ich kehrten in unsere Gemächer zurück. Ich war müde und wollte mich vor dem Fest noch ein wenig ausruhen. Also legte ich mich hin und schlief tief und fest, bis ich von einem Diener geweckt wurde, den Roupen uns mit frischen Kleidern für die fürstliche Tafel geschickt hatte. Der junge Diener sprach kein Latein, doch erklärte er uns mit Händen und Füßen, dass wir die neuen Kleider nehmen und ihm unsere alten geben sollten, damit sie - so vermutete ich - gereinigt und geflickt werden konnten.
    Nachdem wir uns gewaschen und angekleidet hatten, gingen wir hinaus. Vor der Tür wartete Roupen auf uns, um uns zur Festhalle zu geleiten. »Ich nehme an, ihr werdet bald aufbrechen wollen«, sagte er, als wir über den Innenhof marschierten.
    Dank der Nähe der Berge, deren Gipfel vom Licht der untergehenden Sonne rot gefärbt über dem Palastdach zu erkennen waren, war die Luft angenehm kühl; das Spiel von Licht und Luft erinnerte mich an einen warmen Sommerabend daheim in Caithness. Doch bevor diese Erinnerung mich in Schwermut stürzen konnte, schob ich sie rasch beiseite und ermahnte mich, dass ich einen Eid geschworen hatte - einen Eid, dessen Erfüllung ich nun schon viel zu lange aufgeschoben hatte. »So bald wie möglich, ja«, erwiderte ich. Mich interessierte nur noch, möglichst rasch aufden Pilgerpfad zurückzukehren und meine Queste wieder aufzunehmen. »Morgen.«
    »Ihr müsst meiner Familie gestatten, euch angemessen zu ehren«, entgegnete Roupen tadelnd. »Immerhin habt ihr beiden den verlorenen Sohn gerettet und euch als Verbündete Armeniens erwiesen. Es wäre taktlos, die Huldigungen meines Volkes abzulehnen.«
    »Ich wollte niemanden beleidigen. Ich dachte nur.«
    »Ruhig, mein Freund«, unterbrach mich Roupen leichthin. Ich hatte ihn noch nie so ruhig und selbstbeherrscht gesehen. »Das war ein Scherz. Natürlich wird man euch gestatten zu gehen, wann immer ihr wollt. Aber darüber können wir später immer noch reden. Heute Nacht ist es der Wunsch von Fürst Leo, dass euch nach alter Tradition Ruhm und Preis zuteil werden sollen.«
    »Wie geht es deinem Vater?«, fragte Padraig. »Hast du ihn schon gesehen?«
    »Er ist sehr krank«, antwortete Roupen; »doch die Nachricht meiner Rückkehr hat ihn aufgemuntert, und er hat mich sofort zu sich bringen lassen. Wir haben nur kurz miteinander gesprochen, doch meine Mutter sagte mir anschließend, so gut wie nach meinem Besuch sei es ihm schon seit Wochen nicht mehr gegangen. Die königlichen Ärzte hoffen bereits, dass er sich wieder erholt.«
    »Gut. Ich freue mich, das zu hören.«
    »So Gott will, wird mein Vater euch noch persönlich danken können, bevor ihr Hals über Kopf davoneilt.«
    »Wir haben Thoros von Bohemunds Plan berichtet, Anavarza anzugreifen«, sagte ich. »Er reagierte mit bemerkenswerter Gelassenheit auf diese Nachricht. Ich glaube nicht, dass ich angesichts der drohenden Vernichtung meines Heims und meines Volkes derart ruhig bleiben würde.«
    »Das ist seine Art«, erwiderte Roupen. »Thoros offenbart nur selten jemandem seine wahren Gefühle. Man weiß nie, was er gerade denkt.«
    Dann erreichten wir den Eingang der Festhalle. Die Türen waren weit geöffnet, und wir wurden vom königlichen Mundschenk empfangen, der sich tief vor uns verneigte und den versammelten Gästen mit lauter Stimme verkündete, dass Herr Roupen und seine Freunde eingetroffen seien. Wir blieben kurz stehen, um die Begrüßungen der Versammlung entgegenzunehmen; dann wurden wir durch die lärmende Halle geführt, und unsere Ohren dröhnten von den Jubelrufen. Viele der Höflinge streckten die Hände aus, um uns auf den Rücken zu klopfen; meine Arme und Schultern waren

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