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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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mitzuhalten. Sydoni wiederum schien sich mehr und mehr in sich selbst zurückzuziehen; sie wurde immer schwermütiger. Von Zeit zu Zeit, wenn sie mit dem Sonnenschirm auf der Schulter neben mir ritt, versuchte ich, sie in ein Gespräch zu verwickeln, doch ihr Geist war so sehr in düstere Gedanken ge-hüllt, dass sie diese nicht lange unterdrücken konnte, und so versank sie stets schon nach wenigen Worten wieder in der Welt ihrer Erinnerungen. Roupen, der ja schon in Antiochia gereizt und nervös gewesen war, wurde immer unruhiger, je näher wir unserem Ziel kamen. Niemand vermochte auch nur zwei Worte mit ihm zu wechseln, ohne sofort einen Streit zu entfachen oder ihn in krankhaftes Selbstmitleid zu stürzen.
    Nur Padraig und Nurmal ließen sich von der bedrückenden Gleichförmigkeit der Umgebung nicht beeindrucken: Nurmal, weil er seine Pferde liebte und daher jeden Augenblick genoss, den er im Sattel verbrachte, und Padraig, weil er nun einmal so ist. Die Priester der Cele De empfinden Entbehrungen als anregend und unterhaltsam, da sie sich dadurch im Geiste zu verbessern hoffen. Sie sind sogar bekannt dafür, sich ihr eigenes Leid zu schaffen, wenn das Schicksal es einmal zu gut mit ihnen meint.
    Ich wiederum wurde allmählich die ständigen Versuche leid, die anderen aufzuheitern, und immer öfter grübelte auch ich über die seltsamen Irrungen und Wirrungen nach, die das Leben immer wieder für uns bereithält - und das umso mehr, da diese mich gegenwärtig immer weiter von meinem eigentlichen Ziel wegführten, nämlich dem Auffinden des Heiligen Kreuzes. Ungeachtet der Dringlichkeit und des Zwecks unserer Mission wurde ich immer begieriger darauf, mich wieder meinen persönlichen Angelegenheiten widmen zu können, und ich sehnte mich nach dem Tag, da ich nur noch mich selbst verteidigen und versorgen musste.
    So war ich auch von ganzem Herzen froh, als wir am achten Tag den Gipfel eines Hügels erreichten, von wo aus wir die Mauern von Anavarza sehen konnten. Da die Hügel uns bisher die Sicht versperrt hatten, waren wir näher an der Stadt, als wie geglaubt hatten, und nun lag sie endlich vor uns. Nach Süden und Osten hin erstreckte sich eine raue Ebene, in die sich ein Fluss gegraben hatte, während sich im Norden und Westen die Ausläufer des Taurusgebirges erhoben; Letztere lagen allerdings noch weit entfernt.
    Einmal in Sichtweite der Stadt wurde Roupen, der bis jetzt be-stenfalls mürrisch oder teilnahmslos gewirkt hatte, geradezu trunken vor Überschwang. Er hob die Hand und stieß einen Schrei aus, den man vermutlich noch in den Straßen der Stadt hören konnte. Dann trat er dem Pferd die Fersen in die Flanken. Froh darüber, nach so vielen Tagen trübsinnigen Dahintrottens endlich laufen zu können, legte das Tier die Ohren an, stieg, sprang vorwärts und zog das Packpferd, das an den Sattelknaufgebunden war, hinter sich her.
    Nurmal und ich folgten Roupens Beispiel und ließen die Pferde laufen; die anderen blieben bald weit hinter uns zurück. Es war ein Gefühl, als hätte mein Herz plötzlich Flügel bekommen. Die alles zermalmende Eintönigkeit der Straße war mit einem Mal wie weggeblasen, als wir aufdie Stadt zuhielten. Roupen war der Erste, der die Tore erreichte, und als wir ihn einholten, war er bereits abgestiegen. Wir gesellten uns zu ihm, während er versuchte, die Torwachen davon zu überzeugen, uns einzulassen.
    »Wisst Ihr denn nicht, wer es ist, der hier Einlass verlangt?«, knurrte er wütend ob der unverständlichen Sturheit der Torleute.
    »Es ist Herr Roupen, Sohn von Fürst Leo!«, rief Nurmal, um den jungen Armenier zu unterstützen.
    »Niemand betritt oder verlässt die Stadt ohne ausdrückliche Genehmigung des Herrn«, erwiderte einer der dickköpfigen Soldaten. Die beiden Männer hinter ihm nickten und rückten näher an ihn heran.
    »Aber das ist doch lächerlich!«, erboste sich Roupen. Er wollte sich seinen Weg an den Wachen vorbei erzwingen, doch diese richtete augenblicklich die Waffen auf ihn.
    »Warte!«, sagte ich und trat rasch zwischen Roupen und die Soldaten. »Irgendetwas stimmt hier nicht«, erklärte ich an meinen Freund gewandt. »Es ist sinnlos, sich mit ihnen zu streiten. Frag sie lieber, ob sie eine Nachricht zu deinem Vater bringen würden.«
    Roupen gefiel mein Rat zwar nicht; dennoch leuchtete ihm mein Vorschlag ein. Er drehte sich zum Anführer der Torleute um und sagte mit vor Zorn zitternder Stimme: »Bringt Eurem Herrn folgende Nachricht: Sagt ihm,

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