Der Gast des Kalifen
Freunde.«, fuhr ich fort und verstärkte den Griff um seinen Ärmel, ».sie werden mich auslösen.«
»Das sagst du.« Er riss sich von mir los. »Aber bis jetzt sind sie dich nicht holen gekommen, oder irre ich mich da? An deiner Stelle würde ich mir das mit dem Lösegeld aus dem Kopf schlagen. Deine Freunde haben dich schon längst vergessen.«
»Das würden sie niemals tun!«, schrie ich, und meine Erregung erhöhte sein Vergnügen noch.
»Sie haben dich aufgegeben«, beharrte er, »sonst wären sie dich schon längst holen gekommen. Hätten sie dich auslösen wollen, wäre das schon lange geschehen.«
»Sie werden kommen«, wiederholte ich. »Der Kalif von Bagdad, sagt Ihr? Ich kann nicht mit ihm gehen. Ich muss mit Emir Gha-zi sprechen. Ihr müsst ihn bitten, mich in Damaskus bleiben zu lassen, wo meine Freunde mich finden können. Ihr müsst es ihm sagen, Sahak. Ihr seid meine einzige Hoffnung!«
»Oh, sei versichert, dass ich tun werde, was ich kann«, erwiderte er, und Verrat funkelte in seinen Augen.
»Ich danke Euch, Sahak. Ich danke Euch«, erklärte ich, beruhigt zu wissen, dass ich nun ohne Zweifel beim Kalifen und somit in der Nähe des Kreuzes bleiben würde.
Der hinterlistige Katib schlurfte davon, und ich blickte ihm hinterher. Sahak war ein wahrhaft verabscheuungswürdiger Kerl - so viel stand fest -, aber er hatte auch seinen Nutzen. Ich setzte mich in eine Ecke meiner Zelle und dachte darüber nach, dass sich noch nicht einmal die Bösen dem Zugriff der Schnellen Sicheren Hand entziehen konnten, die alle Dinge so richtete, dass sie ihren Zwecken dienten.
Denn nach Emir Ghazis Triumphzug und seinem plötzlichen Anfall von Großzügigkeit hatte Atabek Buri, der eingebildete Herrscher von Damaskus, mich und meine Mitgefangenen in ein stinkendes, mit Ungeziefer verseuchtes Gefängnis stecken lassen, wo wir aufein Wort unseres neuen Herrn, des Kalifen von Bagdad, warten sollten.
Doch alles in allem betrachtet standen die Dinge gar nicht mal so schlecht für uns, und nun, da ich gewiss sein konnte, in der Nähe des Wahren Kreuzes zu bleiben, war ich zufrieden. Den Gestank konnte ich ertragen; nach den schier endlosen Tagen unter der sengenden Wüstensonne erschien uns die kühle, feuchte Dunkelheit des Verlieses geradezu wie eine Erholung. Nur die Ratten und Mäuse waren die reinste Pest; niemand wagte es, des Nachts zu schlafen, denn im selben Augenblick, da man die Augen schloss, huschten die Ratten herbei und begannen, an einem zu nagen. Mehrere Männer verloren Fingerspitzen und Zehen, sodass wir bei Tag schlafen mussten, wenn das Ungeziefer weit seltener zu sehen war.
Neben den drei Edelleuten, die ebenfalls bei Emir Ghazis Tross gewesen waren, hatte man auch noch andere Christen zu mir gesperrt; jene Kreuzfahrer, die die Schlacht und den anschließenden Marsch von Anavarza hierher überlebt hatten, waren von Emir Gha-zi ebenfalls als schmückendes Beiwerk seiner Prozession hinzugefügt worden. Gerhardus war einer dieser Überlebenden, doch ich konnte nicht mit ihm sprechen, denn man hatte mich von den anderen getrennt und in eine Einzelzelle gesteckt. Wie ich später erfuhr, war der Grund dafür, dass die christlichen Gefangenen mir die Schuld an Bohemunds Niederlage gaben.
Unter den Gefangenen hatte sich nämlich verbreitet, dass ich der Spion gewesen sei, der sie an die Seldschuken verraten hatte. Der Verlust ihrer Gefährten und ihre andauernde Gefangenschaft war in ihren Augen meine Schuld, und mehr als einer von ihnen hatte sich geschworen, mich zu töten, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Mein Freund Gerhardus hätte ihnen das Gegenteil sagen können, und vielleicht hatte er das auch versucht, doch falls ja, dann hörte zumindest niemand auf ihn. Ich vermute, sie brauchten einfach jemanden, dem sie die ganze Schuld für ihr Elend aufladen konnten. Bohemund war tot, ebenso wie seine engsten Ratgeber und Vertrauten, und so hatten die überlebenden Gefangenen beschlossen, mich als Ursache allen Übels zu betrachten.
Vermutlich verdiente ich ihren Hass sogar - auch wenn ich der einzige Beteiligte an diesem unglückseligen Unterfangen war, der nie gewollt hatte, dass irgendjemandem ein Leid geschah. Aber was machte das schon? Hätte ich mich nicht in die Angelegenheit hineinziehen lassen, wäre es nie zu diesem Massaker gekommen. Bohemund hätte Anavarza eingenommen, und damit wäre alles vorbei gewesen. Sicher, eine große Zahl Armenier wäre vermutlich abgeschlachtet worden,
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