Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
Vom Netzwerk:
aber - wie man mich immer wieder auf unangenehme Art erinnerte - im Osten war ein Menschenleben nicht allzu viel wert. Das Schicksal ganzer Völker wurde für einen kurzen Augenblick des Ruhms verkauft, für ein Silberstück oder für den sinnlosen Ehrgeiz eines verblendeten Fürsten.
    Viel zu spät begann ich zu verstehen, wie mein Vater für das Heilige Land empfand und warum.
    Im Laufe der nächsten Tage setzte ich alles daran, herauszufinden, was für eine Art Mann der Kalif von Bagdad war. Unter dem Vorwand, sich um meinen Verbleib in Damaskus zu bemühen, besuchte mich immer wieder der schleimige Sahak; er genoss es sichtlich, mich leiden zu sehen, doch dadurch wurde ich Stückchen für Stückchen mit wertvollen Informationen versorgt.
    So erfuhr ich, dass der Kalif von Bagdad nicht nur der mächtigste König dieser Lande war, sondern dass er auch als ausgesprochen fähiger und nachdenklicher Herrscher galt; er studierte die schwierige Kunst der Philosophie, und zwar an einer Schule, die er selbst ins Leben gerufen hatte. Er war ausgesprochen religiös, ein frommer Muselman, der anderen den Inhalt und Sinn des Heiligen Buchs der Araber lehrte, des Koran, und überdies war er ein anerkannter Gelehrter auf dem Gebiet des islamischen Rechts.
    Wenn ich Sahak erst einmal zum Reden gebracht hatte, konnte ich mich auch darauf verlassen, etwas Nützliches zu erfahren. Für den geringen Preis, dass ich bisweilen Sahaks Eitelkeit ertragen musste, erwarb ich eine recht genaue Vorstellung davon, um was für eine Art Mann es sich bei dem Kalifen handelte, und schon ein paar Tage später sollte mir dieses Wissen zugute kommen, als ich vor den Herrscher gerufen wurde.
    Nachdem Ghazi ihm das versprochene Geschenk übergeben hatte, hatte der Kalif beschlossen, seinen Wert einzuschätzen. Daher befahl er nun, dass die Gefangenen ihm vorgeführt wurden. Da keiner der Christen Arabisch sprach, fiel Sahak die Aufgabe zu, dem Kalifen als Übersetzer zu dienen. Der Ruf kam ohne Vorwarnung. Zwei Tage nach dem triumphalen Einmarsch des Emirs erschienen zwei Seldschuken in meiner Zellentür, um mich in den Wachraum über dem Verlies zu bringen. Dort gab man mir Wasser zum Waschen und einen Kamm für Bart und Haare.
    Nachdem ich mich, so gut es ging, gesäubert hatte, wurde ich durch die langen, gewundenen Gänge des Palastes zu dem Ort geführt, wo der Kalif Hof hielt. Dort angekommen erteilte mir ein königlicher Ratgeber Anweisungen, wie ich mich in Gegenwart des erlauchten Kalifen zu verhalten hätte. Schließlich gab ich dem Mann zu verstehen, dass ich wusste, was man von mir erwartete, und ohne größere Zeremonie wurde ich vor den Herrscher geführt. Sahak wartete bereits auf mich, bereit sowohl für mich als auch für den Kalifen zu sprechen.
    Nachdem ich mich dem Kalifen gegenüber angemessen ehrerbietig gezeigt hatte, gestattete man mir aufzustehen und frei zu sprechen. Der Kalif wirkte weit jünger, als er tatsächlich war. Seine prächtigen Gewänder hatte er abgelegt und auch den mächtigen Turban, der bei den Arabern so beliebt ist; stattdessen trug er ein schlichtes dunkles Gewand, das an eine lange Tunika erinnerte, und um den Hals einen silbernen Halbmond an einer Kette. Einen Augenblick lang betrachtete er mich schweigend und trommelte leise mit den Fingern auf seiner Stuhllehne.
    »Man hat mir gesagt, du seist ein Edelmann«, sagte er. Als ich ihm das bestätigte, fragte er: »In welchem Land bist du geboren worden?«
    »Meine Heimat ist Caithness, mein Herr und Kalif.« Es war schwer zu übersehen, dass er noch nie von diesem Ort gehört hatte, und so fügte ich hinzu: »Das ist ein Land im Norden der Insel, die man Britannien nennt.«
    Erkenntnis funkelte in seinen Augen. »Ich glaube, das liegt sehr weit weg von hier. Warum bist du hierher gekommen? Hast du gehofft, durch Ausplündern der Araber reich zu werden? Die meisten Franken scheinen von diesem Gedanken angetrieben zu sein.«
    »Nicht im Mindesten, Herr. Ich befand mich auf Pilgerfahrt«, erwiderte ich und wartete, bis Sahak meine Worte übersetzt hatte, dann fuhr ich fort: »Ich bin nur aufgrund eines unglücklichen Irrtums gefangen genommen worden.«
    »Das ist in der Tat ein Unglück«, entgegnete der Kalif, doch ohne wirklich besorgt zu sein. »Im Krieg geschieht viel, und für den ein oder anderen ist es stets ein Unglück, was du mir sicher bestätigen wirst. Der Emir hat den Preis für deine Freilassung aufzehntausend Dinar festgesetzt. Das ist viel

Weitere Kostenlose Bücher